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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Felix Austria ?! - die verpaßte Chance der Türken



Heinrich Heine
01.08.03, 00:36
Werte Hobbyhistoriker, liebe Österreicher, verehrte Wissende,


schon seit langer Zeit beschäftigt mich eine Frage von äußerster Tragweite für die Entwicklung der jüngeren Geschichte.
Wir kennen die Probleme die Habsburg in den schlesischen Kriegen zu überstehen hatte. Mal waren es die Preußen und dann wieder die Franzosen die der jungen Monarchin in Wien große Kopfschmerzen bereiteten.

Einige Male hing das Schicksal der Habsburger damals am seidenen Faden. Die Historiker waren über die Rolle eines Landes in dieser Zeit nie so recht im klaren. Das durchaus noch große Osmanische Reich hat nämlich seinerzeit keinerlei Interesse daran die Schwäche Wiens zu nutzen und ließ die einmalige Chance verstreichen die Verluste in den letzten Kriegen wieder auszugleichen.
Vielleicht sollte man ein Kenner der Türken befragen, denn ich denke es ist zu einfach den Grund in einer inneren Instabilität der Pforte zu suchen ( da zählen schließlich gerade schnelle außenpolitische Erfolge doppelt ) oder an gewisse Ängste ( die dem Sultan und seinen Janitscharen eh unbekannt sind ) Persien könnte das Großreich in einen Zweifrontenkrieg verwickeln.

Warum also haben die Erben von Soliman ihre Chance nicht genutzt und verhielten sich in diesem Konflikt neutral, was an und für sich völlig gegen ihren Geist verstieß. Hat Maria Theresia vielleicht Gelder nach Konstantinople geschickt ?? Gab es irgendwelche "Geheimverträge" die einen Status quo auf den Balkan für beide Seiten nützlich machte eingehalten zu werden ?
Was meint ihr , warum hat der Sultan Österreich nicht gepflückt als es in starker Bedrängnis war ??

Machen wir neben inneren Unruhen , Angst vor Persien nicht einen Fehler wenn wir glauben die Angst vor einer großen christlichen Strafexpedition hinderte die Türken einzugreifen ? Glaubt Ihr wirklich Preußen und Frankreich hätten dann Österreich geholfen ?? Die Verteidigung des christlichen Glaubens sollte gerade im Zeitalter der Aufklärung nicht mehr den hohen Stellenwert haben.

Haben die Österreicher einfach nur "Glück" gehabt ?

Joseph I
01.08.03, 03:59
Edler Dessauer.

Ich bin mir nicht ganz sicher,glaube aber das sich bereits Kaiser Joseph I. den Frieden mit den Osmanen erkauft hatte,1699 im Frieden zu Karlowitz.
Sein Bruder,Kaiser Karl VI. würd diesen Frieden übernommen haben,der glaube ich jedenfalls Geldzahlung von Österreich an die Osmanen beinnhaltet hatte.
Desweitern war wohl sowohl die Einstellung Russlands,wie auch die Polens nicht ganz klar zu erkennen für die Osmanen.

Vielleicht sind dies Gründe dafür das die Osmanen Österreich nicht angegriefen haben.

Mit bestimmtheit weis ich dies jedoch nicht

MfG
Euer

Heinrich Heine
01.08.03, 11:39
Hochgeschätzter Joseph,

tatsächlich habe ich Polen und Rußland nicht berücksichtigt. Besonders die starke Persönlichkeit Elisabeth I auf dem Zarenthron war wohl ein Unsicherheitsfaktor. Andererseits ist auch sie erst 1740 durch einen Putsch an die Macht gekommen und brauchte noch ein paar Tage der innenpolitischen Festigung ihrer Macht. Vielleicht war das Osmanische Reich doch schon schwächer als es seine territoriale Ausmaße vermuten lassen. So ist ja erst 1739 ein sehr erfolgreicher Krieg für Österreich zu Ende gegangen und vielleicht waren sie 1741/42 im ersten Krieg noch nicht in der Lage und 1744/45 war vielleicht tatsächlich Elisabeth in Rußland eine Gefahr. Möglich, daß der damalige Sultan auch sich entgegen seinen Vorgängern arrangieren wollte mit dem christlichen Europa um über Handel erst einmal wieder das Land zu reformieren. Aber wenn es diese Politik des Sultans war, ist auch das überraschend, da es genug Würdenträger geben mußte, die ihn schnell als "Weichei" vom Thron gestoßen hätten. Na ja, es ist halt alles sehr interessant. Auch der Siebenjährige Krieg, bezw. 1. Weltkrieg wie er auch manchmal genannt wurde, bleibt rätselhaft. Ein Friedrich II als Verbündeteten der trotz Angriffe aus dem Norden,Osten,Süden und Westen zu Beginn Erfolge feierte, war sicher in Constantinople bekannt. Ich glaube mich zu erinnern, daß er auch beim Sultan anfragte wegen einem Eintritt in den Krieg.
Später, als Katharina II auf dem Thron saß und ein zeitlebens unbesiegter Alexander Suworow ihr Feldherr war, da begann der Sultan seine erfolglosen Kriege gegen Rußland, hmmmh verstehe einer die Politiker ;-) nun ja, schauen wir uns heute mal die Welt an ......................

Euer Cousin Fürst Leopold von Anhalt -Dessau

Carl the Great
01.08.03, 12:32
Das Problem ist, dass man fast zu jedem außenpolitischen Thema viel zu wenig über die innenpolitischen Hintergründe weiß. Nur echte Osmanen-Experten können euch wahrscheinlich erklären, was es zu dieser Zeit für innenpolitische Probleme gab. Mag es eine Steuererhöhung gewesen sein, die für Unruhe im Volk sorgte, so dass der Sultan nicht wagte einen kostspieligen Krieg verbunden mit noch höheren Steuern zu führen, mag es einfach aufgrund der langen Besetzung Tendenzen zu Aufständen in den Randbereichen des Reiches gegeben haben, die durch verstärkte Militärpräsenz unterdrückt werden mussten. Ich kann euch leider auch keine Antwort darauf geben, doch bin ich mir sicher, dass auch innenpolitische Probleme eine Rolle spielten.

Heinrich Heine
01.08.03, 14:50
Auch dir sei mein Dank gewiß, edler Carl,

hier eine kurze Information der Dinge wie ich sie kenne

Das Osmanische Reich Mitte des 18 Jahrhunderts - ein ultrakurzer Abriß

Meine Frage zielte natürlich auf konkrete Antworten ab, vermutlich gibt es die aber gar nicht weshalb ich einmal mein Wissen preisgebe.

Mit der Niederlage vor Wien 1683 wurde erstmals der Türke auch politisch geschlagen. Der Niedergang der feudalen Stukturen in dem Vielvölkerstaat trat für den Beobachter offen zu Tage.
Die folgenden Kriege hatten nur deshalb wechselnden Erfolg, weil England und Frankreich ( teilweise auch Holland und Schweden ) sich immer wieder für den Sultan stark machten um damit weder Rußland noch Österreich zu sehr auf Großmachtstatus zu heben.
Der Frieden zu Karlowitz 1698/99 brachte durch Vermittlung England und Hollands der Pforte großen Vorteil.
Der Pruth-Feldzug 1711 brachte Asow wieder unter osmainscher Herrschaft, weil Peter I den Schweden-Karl besiegen wollte und nur halbherzig im Süden agierte.
Auch der Krieg gegen Venedig 1715-1718 hatte noch einmal den Glanz längst vergangener Tage des Osmanischen Reiches kurz aufleben lassen. Es wurden hier geschickt die internationalen Beziehungen genutzt ( Nordische Krieg, Spanischer Erbfolgekrieg ).

Bereits im Krieg gegen Österreich 1716-1718 die meistens in Waffenbrüderschaft mit Rußland auf dem Balkan gegen den Sultan voirgingen hagelte es territoriale Verluste aufgrund böser militärischer Niederlagen. Um das Jahr 1730 begann dann auch Persien zu ärgern indem es innere Revolten unterstützte ( man beachte den viel extremeren Haß der Sunniten zu den Shiiten im Vergleich zu den Protestanten und Katholiken 150 Jahre früher )

Innenpolitisch waren natürlich der feudale Charakter ein Hemmnis um den Prunk am Hofe des Sultans und seines Adels zu finanzieren. Das Volk wurden Steuern aufgehalst die immer wieder zu Aufständen führten.

Der russisch-türkische Krieg 1735-39 der auch gegen Österreich geführt wurde, brachte durch Vermittlung von Frankreich und England einen Teilerfolg für die Pforte. England und Frankreich haben auch den Handel im Vielvölkerstaat immer mehr an sich gerissen. Und genau hier überschätze ich vielleicht die Menschne damals.
Warum hat eben Frankreich und später überwiegend England nicht die Türkei intensiver unterstützt ? Jeder territoriale Verlust schwächte die englische Wirtschaft, jeder Gewinn brachte neue Märkte !!
England war gerade zu Beginn des Krieges 1756 enorm in die Politik des Sultans verstrickt. Ein paar Goldstücke hätten Wunder gewirkt.....

Ein Zahlenbeispiel : Ende des 18. Jahrhunderts erreichte der Umsatz Frankreichs aus dem Handel mit dem Osmanischen Reich 50 bis 70 Millionen Livre jährlich. Das war mehr als der Umsatz aller übrigen europäischen Staaten zusammengenommen. England war ebenfalls im Besitz bedeutender wirtschaftlicher Positionen in der Türkei, insbesondere am Ufer des Persischen Golfs. Die britische Handelsniederlasssung in Basra, die mit der Ostindischen Kompanie verbunden war, hatte das Monopol für den Aufkauf von Rohstoffen in Ihren Händen.

Interessant, oder ???

Joseph I
01.08.03, 16:34
Das England die Osmanen nicht "offizell" unterstütz hat ist für mich nicht verwunderlich,wären diese durch gewonnene Kriege wieder erstarkt wäre der Einfluß der Briten wohl gesunken,das gleiche zählt wohl auch für Frankreich.

Auch ein Grund warum die "hohe Pforte" nicht gegen Österreich auftratt dürfte die Beliebtheit der "Kaiserin" in Ungarn gewesen sein,welche von Ungarn die Unterstützung fand,die nach 1848 dem Hause Habsburg verwärt blieb.
Maria Theresia wurde von den Ungarn nicht als Königin,sondern als König bezeichnet.
Nicht ohne Grund ist der zweihöchste Orden Österreichs der St. Stephans Orden,welcher von Maria Theresia am 06.05.1764 gestieftet wurde und bis 1918 der höchste Zivil Verdienstorden blieb.

MfG

Carl the Great
01.08.03, 18:04
Höchst interessant, werter Dessauer. Da lag ich mit meinen Vermutungen ja gar nicht mal so schlecht. Vielen Dank für diesen kurzen Abriss.

Bismarck
02.08.03, 17:39
Originally posted by Alter Dessauer
Was meint ihr , warum hat der Sultan Österreich nicht gepflückt als es in starker Bedrängnis war ??

Machen wir neben inneren Unruhen , Angst vor Persien nicht einen Fehler wenn wir glauben die Angst vor einer großen christlichen Strafexpedition hinderte die Türken einzugreifen ? Glaubt Ihr wirklich Preußen und Frankreich hätten dann Österreich geholfen ?? Die Verteidigung des christlichen Glaubens sollte gerade im Zeitalter der Aufklärung nicht mehr den hohen Stellenwert haben.

Haben die Österreicher einfach nur "Glück" gehabt ?

Nun zum einen war da sicherlich die Glückseligkeit über die letzten "glücklich" verlaufenen Kriege, aber auch eine gewisse mittelmäßigkeit der Sultane. Vor allem aber die Angst vor weiteren Verlusten auf dem Balkan meiner Meinung nach.
Es hat mich schließlich schon immer gewundert, wieso der Sultan nicht weiter zu Hochzeiten (wir denken da an Suleiman den prächtigen) gegen Persien, die restlichen Nordafrikanischen Staaten und weiter an der Wolga vorgestoßen ist!?

Luitpold
02.08.03, 22:59
Werte Herren,

Wenn ich die Lage recht überblicke, geriet das Osmanische Reich schon im Laufe des 17. Jahrhunderts in innenpolitische und wirtschaftliche Schwierigkeiten (Machtverschiebungen von der Zentrale zu Gunsten der Lokalfürsten, wenig entwickeltes Geld-/Handelssystem, geringe Investitionen usw.).
Im 17. Jh. sorgten die Religionskriege in Europa dafür, daß die Osmanen wenig beachtet wurden, später, v.a. im 19. Jh., sorgte die Angst der europäischen Großmächte, eine andere könne sich ein zu großes Stück vom osmanischen Kuchen schnappen, für das Weiterleben des kranken Mannes am Bosporus.
Außenpolitisch entwickelten sich im 18. Jh. besonders Österreich und Rußland zu den gefährlichsten Nachbarn. Rußland gelang es bspw. in den 1770er Jahren, anläßlich eines siegreichen Krieges, sich friedensvertraglich als Schutzmacht der Christen im Osm. Reich anerkennen zu lassen. Sogar eine solch potentiell massive Einmischung in die inneren Angelegenheiten mußte hingenommen werden, was ein Schlaglicht auf die Schwäche des Verlierers wirft.

Auf dieser Seite findet Ihr zwar relativ wenig zur Diplomatie im 18. Jh., aber recht viele Links, die Euch vielleicht weiterhelfen.
http://osmanischesreich.com

Bismarck
03.08.03, 12:11
Meiner Meinung nach liegt die Schwäche der Osmanen im rückständigen Warenverkehr, Handel und Industrie, weswegen sie im Wettlauf der Nationen immer weiter zurückfielen, besonders wegen dem schlechten Schulsystem!

TimuCin
05.04.04, 19:25
Also man muss da differenzieren, während des 30-jährigen Krieges war es die Trunksucht und geistige Minderwertigkeit der Sultane. Auch bemühte und begabte Großvezire/Sadrazame konnten die Stagnation nicht durchbrechen.
Einige versuchten dies und bezahlten sogar mit dem Leben.
Auch wenn die Köprülüs (gebürtige Albaner) von 1576 bis 1683 das Land reformierten und die Finanzen konsolidierten, die Sultane und das Rumoren der korrumpierten Janitscharen hinderten das Reich entscheidend.

Um 1700 kam es zum spanischen Erbfolgekrieg und auch diesmal, verpasste es das Osmanische Reich die Habsburger zu überrennen.
Aber nach dem Frieden von Karlowitz 1699, war das Reich immer noch geschwächt.
Und wenn man sich nun zurückhielt, dann deshalb weil man erkannt hatte, dass die Kräfte einfach nicht mehr oder noch nicht reichten, um ein aggressives Russland oder ein grollendes Persien in die Kalkulationen mit einbeziehen zu können.

Nach Karlowitz war die Initiative an die christlichen Mächte gegangen, unweigerlich.

Das Reich war noch stark, aber eben nicht mehr stärker als gewisse christliche Koalitionen.

Und die Osmanen hatten erkannt, dass nicht mehr Österreich der Hauptgegner war sondern ein Russland, dass sich um jeden Preis auszudehnen suchte.