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Dienstag, 10. Oktober 1939 - Planquadrat AN 81, englische Küste vor Lowestoft
Eigentlich begann meine Seewache erst um 18 Uhr, aber es gehörte zum guten Ton, die Leute 10 Minuten früher abzulösen, auch wenn das Wetter uns ziemlich gewogen war und die See glatt vor uns lag. Nach einigem Herumkarriolen in der Nordsee hatten wir das Etappenziel Lowestoft fast erreicht. Börner hatte einige Tests und Tauchversuche gemacht, um sicherzugehen, daß das Boot auch wirklich kampftauglich war. Immerhin war Kuhlmann nicht gezwungen, mit der Röhre wieder rauszufahren, nicht ? Alles war jedoch zur vollen Zufriedenheit unseres LI verlaufen. Die neuen Männer fügten sich gut ein und auch Beckers Extratouren mit den Funkmaaten machten sich bezahlt. ich wischte mit einem Tuch kurz über die Okulare der Ferngläser, dann bezogen die Männer Posten und ich beaufsichtigte das Ganze zusammen mit dem Bootsmannsmaat.
'Rauchsäulen am Horizont, Herr Oberleutnant ! 344 Grad !'
Herr Oberleutnant ? Richtig, meine etatmäßige Beförderung zum Oberleutnant war ja am 1.10. ergangen. In der ganzen Monotonie hatte ich das vollkommen vergessen ! Ich folgte dem Arm, der die Richtung anzeigte und richtete das Fernglas auf die bezeichnete Richtung. ich mußte meine Augen etwas anstrengen, aber dann sah ich sie ! Schiffe, die näherkamen. Drei, vier, fünf ! Große in der Mitte, dazu ein kleineres Schiff backbord, etwa auf unserer Höhe sowie zwei auf Steuerbord.
"Kommandant auf Brücke !" rief ich das Luk hinunter und wartete, bis Kapitänleutnant Kölmel aufenterte. 'Was gibt es, IWO ?' Ich zeigte ihm die Richtung und wies ihn kurz ein. Der Alte richtete das Glas aus und pfiff durch die Zähne. Auch ich sah erneut hinüber, wo sich die Feindschiffe mit großen Bugwellen, die fast wie silberne Schnurrbärte aussahen näherschoben.
'Der einzelne auf Backbord, was denken sie ?' Ich sah genauer hin. "Zerstörer, wenn sie mich fragen, Herr Kaleun. Die beiden an Steuerbord auch. Klasse auf diese Entfernung nicht sauber zu bestimmen." Kölmel nickte und schob die Mütze tiefer ins Genick. 'Die beiden, die da schön mittig in Kiellinie auf uns zukommen, wonach sieht das für sie aus ?' ich überlegte und ging die Silhouetten durch, an die ich mich erinnerte, aber da kam wenig brauchbares. Kein Schlachtschiff, zu groß für Zerstörer, zu klein für schwere Kreuzer... "Zwei leichte Kreuzer, Herr Kaleun, Klasse ebenfalls nicht einwandfrei festzustellen." Kölmel gab bereits die Kurskorrektur durch.
'Kurs 93, Volle Fahrt zurück ! Sehrohrtiefe.' Er stieß mich an. 'Lassen wir die Lords etwas näher kommen, dann werden wir ja sehen, was das ist ! Einen von den großen Pötten schaffen wir ja wohl, was ? Alles einsteigen !'
Eine Einsatzgruppe also, auf die wir hier mehr durch Zufall gestoßen waren ! Ob das gut oder schlecht war, ließ sich noch nicht sagen. Kölmel wollte die Briten sozusagen en Passant erwischen und legte das Boot passend zurecht, wenn sie nicht zackten und das Sehrohr nicht entdeckten, wäre das fast wie Scheibenschießen ! Sechs Minuten warteten wir, im Boot war abgesehen von den fortlaufenden Meldungen des Maates am Hydrophon Totenstille. Kölmel fuhr das Sehrohr aus und grinste. wie lange würden sie uns diesmal wohl beharken ? Er ließ mich durch das Sehrohr sehen, dann hieß es, schnell den Schiffstyp im Register nachzuschlagen. nach etwa zwei Minuten hatte ich gefunden, was ich für den gesichteten Schiffstyp hielt.
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"Leichte Kreuzer Southampton-Klasse, Herr Kaleun. Knapp 11.000 Tonnen, Besatzung 1100 Mann."
Kölmel visierte den ersten Kreuzer an. Wir hatten nur den einen Versuch, ein Dreierfächer und dann weg, zum Nachladen wäre keine Zeit. Also hieß es besonders gut zielen und dann auf das Glück und die eigenen Fähigkeiten hoffen !
'Entfernung 900 Meter. Geschwindigkeit 25 Knoten. Lagewinkel 39, Lage laufend folgen !'
'Eingestellt !'
'Rohre 1 bis 3, Mündungsklappen öffnen.'
'Rohre 1 bis 3 klar zum Unterwasserangriff !'
'Rohr 1 bis 3... los !'
Die Torpedos schoben sich aus den Rohren und schossen dem Kreuzer entgegen. 36 Sekunden etwa zeigten die Uhren an, die ich in den Händen hielt. Nicht lange, um auszuweichen oder eine Blasenspur zu entdecken ! Langsam tickten die Sekunden herunter, als der Kreuzer zu drehen begann. Ein reguläres Manöver ? Oder hatten sie etwas bemerkt ? Einerlei, die Laufzeit war um ! Die Einschläge hörten wir auch so. Zwei der drei Torpedos trafen und als mich Kölmel durch das Sehrohr schauen ließ, zerrissen bereits Folgeexplosionen die Decks.
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'Kreuzer sinkt !' kam es aus dem Funkschapp, während Kölmel mich das Sehrohr einziehen ließ. Der leise Jubel im Boot wurde durch die Dienstgrade schnell unterbunden. Es waren Ruhe und Geschwindigkeit gefragt !
'Tiefe unter Kiel, Vollmer ?'
'27 Meter, Herr Kaleun !'
'Auf 24 Meter gehen, Kurs 90, beide Diesel 50 Umdrehungen.'
Jetzt würde es also psychologisch werden !
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Uh, na da habt Ihr ja schon mal was Vernünftiges vor Euren Rohren. :top:
Wir wünschen viel Glück beim Angriff und dem Entkommen! :top:
Glückwunsch! :prost:
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Da wird der Tommy sauer sein!
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Werter Graf, wir wünschen euch weiterhin viel Glück und viele Erfolge...!! :reiter: Hoffentlich könnt ihr den feindlichen Zerstörern auch noch gut entkommen...!! :ph:
herzlichste grüsse
Hohenlohe...:top: *GUTE FAHRT UND GUTE JAGD!!*
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Asche über unser Haupt, werter Zardoz !
Wir haben noch einmal nachgesehen, die Besatzung beträgt in der Tat nur 800, woher wir die 1100 haben können wir gar nicht mehr so genau sagen !
Edith sagt, die Zahl wurde vom SH Commander ausgespuckt, nach dem wir uns da richten. Wir haben die 1098 einfach mal gerundet, aber ja, ist ne Masse Holz für einen Town-Klasse Kreuzer. Werden wir aber wohl weiter mit arbeiten, vielleicht haben die Lords drüben das Ding ja aufgerüstet und modernisiert ?
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'Schnelle Schraubengeräusche aus 221 Grad, Herr Kaleun ! Kurze Entfernung, kommen näher !'
Der zweite Kreuzer oder ein Zerstörer ! Das würde sich in Kürze zeigen, aber nett würde es in keinem Fall werden. Vollmer spitzte seine Bleistifte demostrativ, aber aus meinem Blickwinkel konnte ich seine Hände leicht zittern sehen. Ich hielt mich an der Leiter in den Turm fest. Kölmel stand bei Oberleutnant Börner und die beiden tuschelten miteinander, nicht ohne ein Auge nach oben zu haben. Ich sah auf den Tiefenmesser, wo gerade die 20 Meter durchgegangen waren, aber noch war nichts von Ortung zu hören. Tatsächlich entfernten sich die Horchkontakte und nach zwanzig Minuten ließ Kölmel auf Sehrohrtiefe gehen. Ich vermutete schon halb, daß dort oben einer oder zwei der Bewacher auf genau das warteten.
Tatsächlich war noch einer der Zerstörer da, lief aber langsam ab, vermutlich fischten sie immer noch Schiffbrüchige auf. Kölmel befahl Kurs Südwest, um wieder auf Operationskurs zu kommen. Den Zerstörer würde er nicht angreifen. Er zog das Sehrohr wieder ein.
'Funkspruch vom OKM, Herr Kaleun !' 'Geben sie her !' Der Kaleun las den Spruch, runzelte die Stirn und legte das Papier weg.
'Meine Herren, Polen hat kapituliert ! Polnische Fahrzeuge sind aber weiterhin als feindlich zu behandeln.'
Das war es also ! Ein Monat und Polen war geschlagen. Ich war sicher, daß Frankreich und England nicht so leicht von der Hand gehen würden, aber das wollte ich in der allgemeinen Hochstimmung nicht verbreiten. Wir würden es ja erleben !
Um 19 Uhr 45 tauchte das Boot auf. Draußen war es bereits dunkel. Die Briten hatten uns nicht gefunden, Vollmer meinte, sie hätten uns nicht mal richtig gesucht. Er zog mit der Seewache auf, wir anderen aßen zu Abend. Bei Rollmops und belegtem Dosenbrot wurde es bald politisch.
'Die Deutschen in den ehemaligen Ostgebieten sind damit wieder heim im Reich ! Der Führer hat ja bereits klargestellt, daß es keine Gebietsforderungen an den Westen geben wird. Vielleicht ist 1940 schon wieder Frieden !' meinte Oberleutnant Börner kauend. 'Polnische Übergriffe hin oder her, denken sie wirklich, man hätte dem Reich so schnell den Krieg erklärt, wenn man das nicht auch ernst meinte, Herr Börner ? Glauben sie an einen Alibikrieg ?' wollte der Kaleun wissen. Börner schüttelte den Kopf. 'Signalwirkung vielleicht. Die Tschechen haben sie ja auch trotz aller Zusagen nicht unterstützt. Von daher wäre Polen ein interessanter Punkt, jetzt auf eine Linie im Sand zu ziehen, oder nicht ?' "Bedenken sie die Westfront !" warf ich ein "Da ist nichts passiert, bis jetzt. Wenn die Franzosen wirklich wollten, könnten sie doch jetzt, wo der Großteil des Heeres in Polen ist, schon versuchen, am Rhein stehen. Zumindest hätten sie es doch versucht, außer sie hecken eine Schweinerei aus." 'Zum Beispiel ?' fragte Kölmel. Ich zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung, ein britisches Expeditionskorps vielleicht ?" 'Möglich.' meinte Kölmel. 'Da wird den schlauen Herren im OKW auch noch was einfallen, hoffen wir mal. Also ich hätte nichts gegen einen Frieden 1940. Warten wir es ab, meine Herren !'
Das Gespräch ebbte bald wieder in unpolitischere Gefilde. Später würde Becker Vollmer ablösen. Ich hatte mal wieder die Hundewache erwischt... Der Kaleun hatte sich schon schlafen gelegt, mit dem verweis, die nächsten Stunden wollte er nur in dringenden Fällen gestört werden. In den meisten Fällen wüßte ich ja, was zu tun sei. Damit war das Boot wieder einmal, wenn auch nur für kurze Zeit, mein Kommando !
"Mann auf Brücke ?"
'Jawohl !'
Ich enterte auf und sog die frische Luft ein.
"Alles klar hier oben ?"
'Jawoll, Herr Kaleun !' grinste Becker. 'Melde gehorsamst: Dunkel wie im Bärenarsch, keine besonderen Vorkommnisse !'
Ich grinste zurück.
"Gut so, weitermachen, Leutnant !"
Becker hatte recht, es war in der Tat ziemlich dunkel. Zum Glück hatten wir Nachtgläser dabei. Nicht zwingend das Beste, aber immerhin etwas !
'Schatten Steuerbord voraus, Herr Oberleutnant ! Peilung 40.' meldete sich der für den entsprechenden Sektor zuständige Ausguck, Matrosenhauptgefreiter Wolf.
'Stimmt, da bewegt sich was !' bestätigte Oberbootsmann Puhse.
Ich sah auf die Uhr. Kurz nach 23 Uhr. Wer trieb sich denn um diese Zeit noch auf See herum ? Es gab nur einen Weg, das herauszufinden.
"Beide Maschinen AK, Kurs 30 ! Die Brüder sehen wir uns genauer an."
Wolf war wieder zu seinem Sektor zurückgekehrt, aber Puhse behielt das Schiff im Auge. Wir waren bald dicht genug dran, um es als einen kleinen Küstenfrachter identifizieren zu können. Nicht das großartigste Ziel, aber immerhin etwas ! Um 23 Uhr 15 gab ich den Befehl zum Tauchen.
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Wir freuen uns nach dem letzten Cliffhanger die Mannschaft und das Boot wohlauf zu sehen...:ph: Ansonsten wünschen wir weiterhin viel Glück und viele Erfolge...!! :top:
herzliche grüsse
Hohenlohe...:top: *GUTE JAGD!!*
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Sehr schön, werter Graf! Glückwunsch zur Versenkung des Kreuzers und dem erfolgreichen Entkommen! :top:
Nun sind Wir gespannt, was als Nächstes passiert. :)
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Unter Wasser pendelte Börner das Boot ein und die Kleinarbeit begann... Das Boot so auszurichten, daß ein optimaler Schußwinkel dabei herauskam. In unterschiedlichen Kurs- und Fahrtstufen ließ ich das Boot laufen, bis die gewünschte Position erreicht war. Es lief immer noch halbe Fahrt zurück, als der Frachter in die Nähe kam. Ich beobachtete den Briten mit scharfem Blick durch das Sehrohr.
"Rohr 1 - Mündungsklappe öffnen !"
'Mündungsklappe geöffnet !'
"Entfernung zum Ziel 650 Meter. Zielfahrt 4 Knoten. Lagewinkel 86 Grad."
'Eingestellt !'
Der Engländer oben schien immer noch nichts zu ahnen. Arglos lief er näher und näher.
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"Rohr 1... los !"
'Rohr 1 abgefeuert !'
Etwa 40 Sekunden Laufzeit... Nicht eben viel, aber so ein Küstenfrachter war auch ein kleines, wendiges Ding, an dem nicht viel dran war. Kein Zeichen einer irgendwie gearteten Alarmierung. Zehn Sekunden liefen durch... Zwanzig Sekunden liefen durch... Dreißig...
Hinter mir sagte der Zentralemaat die fünfunddreißig Sekunden an. Dann die Vierzig. Jetzt mußte es bald passieren !
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Treffer !
Die Explosion und die Wassersäule ließen wenig Zweifel am Schicksal des kleinen Frachters. Aus dem Funkschapp hörte ich den diensthabenden Funker.
'Schiff funkt, Herr Oberleutnant ! SS Aegir, 1869 Bruttoregistertonnen.'
Ich ließ auftauchen und Kurs 310 anlegen. Einen Torpedo hatten wir ja noch und so hieß es weiter die Küste entlang, bevor es dann gen Heimat gehen würde. Tatsächlich lief U-13 die Strecke ohne weitere Begegnungen oder Zwischenfälle. Nicht einmal Neutrale ließen sich sehen ! Würden wir also die 12.000 Tonnen nach Hause bringen ? Und was würde uns dort erwarten ?
Kapitänleutnant Kölmel ließ Heimatkurs anlegen. Den Torpedo sparten wir für Notfälle. Wie üblich war es immerhin der Treibstoff, der uns zur Umkehr zwang, und nicht die Munition. Am 9. kam die Bestätigung, daß Kapitänleutnant Tom Voetmann als einem der ersten U-Bootkommandanten das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes verliehen worden war. Erneut etwas, daß Anlaß zur Freude gab, aber uns auch die 'nur' 12.000 Tonnen etwas mies machte. Den Kaleun focht das nicht an, also uns auch nicht, oder zumindest taten wir so.
Am Morgen des 13.10. 1939 lief U-13 wieder in Kiel ein. Einen Heldenempfang bekamen wir nicht, aber ein paar Leute waren doch zusammengekommen. Das Boot würde wohl etwas länger in der Werft bleiben müssen, das hieß entweder Urlaubschancen oder aber stumpfen Dienst an Land ! Ich hoffte auf Ersteres...
Aber es sollten noch weitere Nachrichten folgen, die mich und Kölmels Boot betrafen !
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Kleinvieh macht ja bekanntlich auch Mist...!! Darunter fällt auch die Torpedierung eines kleinen Küstenfrachters wie der SS Aegir...*seufz* Aber was für Nachrichten sollten das Boot bzw. den Protagonisten betreffen...??
Wir sind schon sehr gespannt...:top:
herzliche grüsse
Hohenlohe...:top:
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Am Abend gab es eine kleine Feier, nicht nur wegen der Versenkungen, sondern weil das wohl meine letzte Fahrt mit U-13 gewesen war. Es hing zwar vor allem vom nächsten Auslauftermin ab, aber Kapitänleutnant Kölmel hatte bereits durchblicken lassen, daß er der Meinung war, daß die Liegezeit für U-13 zu lang wäre, um eine weitere Patrouille zu fahren. Demzufolge hielt ich bald neben dem Urlaubsschein den langersehnten Zettel in der Hand: Marschbefehl zum Kommandantenschießlehrgang XI/39 bei der 24. Flottille in Danzig zum 01.11.1939. Die Altersgrenze hatte ich bereits erreicht, da bestand also kein Problem. Wenn alles gutging, würde ich also in etwa zwei Monaten mein eigenes Boot haben... Kapitänleutnant Kölmel hatte bereits vom Flottillenchef für die Versenkung des leichten Kreuzers das EK I bekommen, blank und neu glänzte es an der Uniformjacke, die über seinem Stuhl im Kasino hing.
'Das bißchen Ausbildungsbetrieb überstehen Sie ja wohl auch noch. Wenn sie nur zur Hälfte der Sohn ihres Vaters sind, dann sitzen sie den Lehrgang auf einer Backe ab und bekommen ihr Kommando schneller, als ihnen lieb ist. Villeicht ist ja sogar eins von diesen VIIer Booten drin, aber da müßten sie sich wohl doch etwas anstrengen...'
Er grinste vielsagend und nahm einen Schluck aus seinem Bier.
'Ich habe sie jedenfalls empfohlen, also machen sie mir und ihrem Herrn Vater keine Schande, Oberleutnant !'
"Werde ich nicht, Herr Kapitänleutnant !"
'Ich weiß, wollte ich nur nochmal klar stellen. Man wird hohe Erwartungen an sie haben, und ich erwarte, daß sie diese erfüllen ! Wenn sie da werken wie 'Fahrkarten-Johnny' Dreier, dann sorge ich dafür, daß sie wieder auf mein Boot kommen und zieh ihnen die Hammelbeine lang ! Was macht ihr Vater eigentlich diese Tage ?'
"Er ist Kriminalkommissar."
'Hm, interessant ! Warum ist er eigentlich nicht bei der Marine geblieben, da könnte er sich doch jetzt bald Chnacen auf einen Admiralsposten machen ?'
"Weiß ich nicht, Herr Kaleu. Das fällt in eine Zeit über die er nicht gerne redet. Eigentlich überhaupt nicht."
Kölmel wirkte nachdenklich.
'Verstehe. Naja, wie gesagt, auf den Lehrgang ! Zeigen sie es denen so richtig !'
"Das werde ich, Herr Kaleun !"
Aber erstmal würde es wohl nach Hause gehen... Ich freute mich schon darauf, wieder von den Leuten zu hören und die neuesten Nachrichten zu erfahren. Wirklich viel bekam man hier draußen ja nicht mit, besonders postalisch hielten meine Eltern sich bedeckt. Ob das an den Erinnerungen an die Zensur im letzten Krieg lag ? Nun, ich würde es ja herausfinden ! Etwas Dienst war noch, aber dann hatte ich fast zwei Wochen, die ich daheim verbringen konnte, bevor es nach Danzig gehen würde. Die Stadt, in der der ganze Krieg angefangen hatte... Ich war sehr gespannt, wie diese Stadt wohl aussah !
Ich meldete mich ab und begab mich in mein Quartier zurück, um den Dienstplan für die nächste Woche zu lesen. Immerhin war ich noch hier, und da würde Kölmel das auch ausnutzen !
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Also darf des Grafen Sohnemann auf Lehrgang gehen und schon mal das Schiffeversenken üben...*grins* Wir drücken dem jungen Oberleutnant mal die Daumen...!! :top:
herzliche grüsse
Hohenlohe...:top:
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Freitag, 1. Dezember 1939 - Hannover
In der kleinen Dienstwohnung saßen die Männer zu dritt in der beengten Stube um den Tisch und tranken Kaffee. Der alte Graf trug immer noch Weste und Langbinder, saß aber ansonsten hemdsärmelig am Tisch und zog an seiner Pfeife. Er sah ernst in die Runde. Rechts neben ihm saß Korvettenkapitän Theodor Schulte, entgegen dem, was wer ihn kannte, von ihm zu erwarten gewohnt war, ebenfalls in Zivil. Er tippte den Überschuß Asche von der Spitze seiner Zigarette ab. Links neben dem Hausherren hatte sich dessen jüngster Sohn, Otto, niedergelassen. Er trug seine Marineuniform und sah auch sonst reichtlich adrett aus, besonders im Vergleich mit den beiden älteren Männern. Er tolerierte Tabakrauch zwar, war aber selber diesem ordinären Laster nicht besonders zugetan.
"...und jetzt hat man den Ostjuden im Generalgouvernement einen gelben Stern verordnet, um sie jederzeit kenntlich zu machen. Praktisch, da müssen wir nicht mal mehr ihre Kennkarte kontrollieren !" Paul bemühte sich, gleichgültig zu klingen, aber es glückte nicht ganz. "Da kann man sich gleich wieder wie im Mittelalter fühlen, aber nach außen bezeichnet man sich als Kulturvolk !" 'Naja, aber wie du sagtest, das sind ja nur die Ostjuden, Paul... Das ist ja nochmal eine ganz andere Kiste mit denen im Reich.' "Wirklich ? Bürger- und Ehrenrechte haben sie bereits verloren, die Erlaubnis zur freien Ausübung der meisten Berufe auch. Streng genommen unterscheiden sie sich von den Ostjuden... worin ? Sprache ? Kultur ? Man wird das Niveau solange weiter absenken, bis man sie alle aus dem Land getrieben hat." 'Besser so als verbrennen, oder ?' "Natürlich, aber trotzdem, Theo... Als wir endlich was in die Hand bekamen, um gegen die Ringvereine und andere Berufsverbrecher vorzugehen, war ich ganz vorne mit dabei, aber jetzt... ? Geradezu barbarisch..."
Ja, es hatte etwas für sich gehabt, dem organisierten Verbrechen auf den Zahn zu fühlen, nachdem man ihnen in den 20ern größtenteils hilflos gegenübergestanden hatte. So klein mit Hut waren sie auf einmal gewesen ! Aber jetzt, wo er sozusagen an der Quelle saß, und die Gesetzgebung zeitnah mitbekam, fragte er sich doch, was noch passieren würde. Es beunruhigte ihn, wie man Schritt für Schritt eine ganze Volksgruppe absonderte und nach und nach entrechtete. Wie leicht das zu sein schien. Pauls Vater hatte die Juden nicht gemocht und das auch an seine Kinder mehr oder weniger weitergegeben. Für Paul war das seit dem Krieg einfacher. Diese Leute waren gut genug gewesen im Weltkrieg mit ihnen gemeinsam zu kämpfen und zu bluten, also hatten sie auch das Recht, gemeinsam mit ihnen in diesem Land zu leben, zumindest, wenn es nach ihm ging. Aber selbst wenn das Ganze 'erfolgreich' ablief würde das einen Präzedenzfall liefern, um mit den nächsten weiterzumachen. Der Kirchenkampf war ihm noch in guter Erinnerung... Aber das waren Dinge, die er nicht vollständig vor den Anwesenden auszubreiten gedachte, weshalb er den Satz offen ließ.
Den jungen Offiziersanwärter neben sich hatten die Männer fast vergessen. Otto machte ihnen das aber auch leicht. Er hielt sich vornehm zurück, redete nur, wenn es angemessen schien und runzelte nur hier und da etwas die Stirn. Mit einigen Ansichten seines Vaters war er nicht ganz einverstanden, behandelte ihn aber eher wie einen Vorgesetzten woraus für ihn resultierte, daß es ihm nicht zustand, diesem allzu offen zu widersprechen oder ihn gar öffentlich zu kritisieren. Als sie das Feld der Politik verließen, begann das Gespräch wieder dahinzuplätschern.
In der Küche saßen unterdessen die Gräfin und Frau Schulte und unterhielten sich angeregt bei einem Tee über die wirklich dringenden Dinge des Familienlebens.
Freitag, 1. Dezember 1939 - Danzig
Vöhringer und Hardorff wechselten verwunderte Blicke und konnten sich nicht einmal auf die Damen an ihrer Seite konzentrieren. Bell und Tebben gelang das deutlich besser, aber bei deren Begleitung war das auch kein Wunder. Ich selber bemühte mich natürlich, meiner Abendbegleitung die angebrachte Aufmerksamkeit zu zollen. Immerhin hatte ich sie schön öfter ausgeführt und beabsichtigte, das auch weiterhin so zu halten, wenigstens für die Dauer des Lehrgangs. Aber so wenig ich doch gewillt war, mich von ihr zu lösen, so wollte ich doch sehen, was Fabian und Georg derart beschäftigte. Unauffällig linste ich daher zur Tür, wo ich sogleich das Problem erkannte. Dort waren nämlich drei Offiziere von den ansässigen Ersatztruppenteilen und einer von der SS erschienen. Alle vier schon etwas angeheitert, alle vier natürlich mit weiblicher Begleitung. Alle vier in diesem Lokal fatal fehl am Platze... ! Schon bald hörte ich Kunze neben mir grölen.
'Was wollen denn die Plattfußindianer hier ? HE, NUR FREIKORPS RAEDER ! FIGUREN WIE EUCH MÖGEN WIR HIER NICHT !'
Das sicherte den vier deutlich mehr Aufmerksamkeit von den Seelords im Raum. Die Stimmung würde wohl kippen, wenn die nichts begriffen, und zwar bald. Fabian warf mir einen fragenden Blick zu, ich nickte. Vielleicht konnten wir es raus schaffen, bevor es häßlich wurde. Zumindest die Mädchen in Sicherheit bringen. Also lotste ich Anna dezent in Richtung Hinterausgang, während es vorne immer lauter wurde. Es waren wohl noch mehr Heeresleute aufgetaucht... Hardorff gab mir Deckung, damit Kunze mein Fehlen nicht bemerkte. Er nahm es leicht krumm, wenn man ihn in solchen Situationen hängen ließ, die er sich und denen um ihn herum einzubrocken pflegte. Hinter dem Lokal waren so ich, Hardorff, Tebben, der sich ebenfalls losgeeist hatte, und die Damen, die einer schnöden Lokalauseinandersetzung nicht viel abgewinnen konnten und sichtlich verärgert waren, wegen einer Schlägerei versetzt zu werden.
Also teilten wir uns auf, als drinnen der erste Stuhl zu Bruch ging: Anna und ich zogen uns in ein anderes Lokal zurück. Hardorff strebte mit einem Mädchen an jedem Arm einer mir unbekannten Lokalität zu und die übrigen gingen sich anderweitig amüsieren. Als Kunze drinnen nach uns drei rief, zögerte Tebben, zuckte resigniert mit den Schultern und lief zurück, um Kunze, Vöhringer und Bell gegen die Staubschlucker zu helfen. Vermutlich würde man später versuchen, mir ein schlechtes Gewissen zu machen, aber das war mir im Moment ziemlich egal. Immerhin hatte ich noch einen langen Abend vor mir und die anderen konnten ihre Suppe auch mal alleine auslöffeln.
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Sososo, ganz galant sich mit der weiblichen Begleitung zu verdrücken, während drinnen im Lokal die Kameraden in heftige Auseinandersetzungen mit Heeresvertretern verwickelt werden...:D Aber macht nix, nicht dabei gewesen zu sein, bringt auch Vorteile, nämlich eine saubere Weste...*grins*
herzlichste grüsse
Hohenlohe...:top:
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Samstag, 23.12.1939 - Oldenburg
Weihnachten stand vor der Tür, und so hatten wir auf dem Lehrgang Urlaub bekommen. Obwohl Kriegsweihnacht war und die Rationierung auf Lebensmittelkarten Dinge nicht einfacher machte, hatten meine Eltern beschlossen, die Feier aufs Land in das große Geburtshaus meines Vaters zu verlegen, das ja auch mein Geburtshaus war. Es würde also wie jedes Jahr eine größere Feier werden, je nachdem, wer Zeit und Gelegenheit hatte, teilzunehmen. Viele der Gäste waren tatsächlich bereits angereist, als ich ankam. Interessanterweise trugen fast alle Anwesenden zivil.
Da war Onkel Max, Ergänzungsoffizier bei der Luftwaffe, seit die Wehrmacht wieder eine hatte. Er war Hauptmann und befehligte eine bespannte Luftwaffenversorgungskompanie am Westwall. Neben ihm auf der Veranda saß Tante Amalie. Ihr Sohn, mein Vetter Rudolf, war wie sein Vater früher Jagdflieger und lag ebenfalls im Westen. Er würde wohl erst morgen ankommen, wenn ich es richtig verstand. Mutter war erstaunlich geschäftig in der Küche, wo sie am weitesten von der Veranda weg war. Vater hatte Tante Amalie und Rudolf während des Krieges bei uns untergebracht, als Onkel Max noch als vermißt gegolten hatte, obwohl Mutter dagegen gewesen war. Normalerweise konnte er ihr wenig abschlagen, aber damals war er hart geblieben und hatte es über ihren Kopf hinweg entschieden. Das hatte sie ihm noch lange nachgetragen. Nein, Mutter und Tante Amalie mochten sich nicht besonders... Im Flur war Onkel Bert zu sehen. Er war nach dem Krieg in der Reichswehr geblieben und inzwischen Oberstleutnant und Bataillonskommandeur. Seine Frau, Tante Sophie, glaubte ich bei der Küche gesehen zu haben, wo sich wohl die meisten Damen befanden. Die beiden hatten vier Töchter, von denen drei mit angereist waren. Die vierte war verheiratet und feierte wohl mit ihrer Familie. Otto hatte mal den Fehler gemacht, Onkel Berthold auf seinen bedauerlichen Mangel an Söhnen anzusprechen. 'Ist ganz gut so' hatte dieser gesagt 'Mädchen müssen später nicht in den Dreck und haben auch sonst mehr vom Leben.' Damit hatte er Otto einfach stehen lassen und war lachend seiner Wege gezogen.
Onkel Philipp, der jüngste Bruder meines Vaters, war Junggeselle und ebenfalls aktiver Soldat. Er war Major in einer Aufklärungsabteilung und hatte noch in Polen das EK II erhalten. Er war etwas außenstehend, weil man viel von unehelichen Kindern und irgendwelchen Weibergeschichten munkelte, aber eben nichts Substanzielles hörte. Er kommentierte diese Gerüchte jedenfalls nicht oder wenn, dann nur mit einem Augenzwinkern. Mochte man davon halten, was man wollte ! Ich hatte ihn kurz mit meinem Bruder im Garten gesehen, wo sie sich angeregt über etwas unterhielten, wahrscheinlich eins von Onkel Philipps Husarenstückchen oder so etwas. Knapp daneben standen Figuren, die ich erst auf den zweiten Blick erkannte. Onkel Dieter, Onkel Friedrich und Onkel Oskar. So nannte ich sie jedenfalls, aber wirklich viel mit ihnen zu tun hatte ich nicht und könnte ihren Anhang auch nicht benennen. Sie waren manchmal zu Gast und Vettern meines Vaters, viel mehr wüßte ich nicht über sie zu sagen. Etwas abseits, nahe der Laube im Schatten der Bäume sah ich Clara und Tante Viktoria, Vaters Schwester, mit Großtante Katharina sitzen, die kurz zu der Dreiergruppe hinübersah. Onkel Friedrich und Onkel Oskar waren ja ihre Söhne, Onkel Dieter ihr Neffe. Allgemein fiel mir auf, daß viel besonders des weiblichen Anhangs entweder fehlte, oder zumindest außer Sicht war, ob die sich alle in der Küche drängten ?
Auf dem Gang rannten mich fast drei Kinder um. Zwei davon, Johanna und Friederike, gehörten ziemlich sicher zu meiner Base Gerda, da war ich sicher. Der dritte im Bunde, Adolf, schlug eher nach meinem Vetter Erich, aber sicher konnte man da nie sein. ich hatte es nie geschafft, einen guten Überblick über meine fast zwei Dutzend Vettern und Basen zu bekommen, dazu sah man sich einfach zu selten. Kurz darauf hörte ich Stimmen im Korridor. Waren die Kinder davor 'geflohen' ?
'... Brüder leisten immerhin noch einen wichtigen Beitrag für das Reich. Hast du nie darüber nachgedacht, selber wieder zur Fahne zu gehen, Neffe ?'
Zusammen mit dem Klicken des Gehstocks auf den Fliesen war es nicht schwer, den Urheber dieser Worte zu erkennen. Es mußte Großtante Katharinas Mann sein, der da sprach. Großonkel Friedrich, der letzte noch lebende Bruder meines Großvaters. Er war mittlerweile 74 Jahre alt, aber noch immer so rege wie ein Fünfzigjähriger.
'Nachgedacht schon. Aber mit meinem Auge und in meinem Alter würde ich wenig mehr tun, als Papier hin- und herzuschieben. Das könnte ich nicht. Ich muß etwas zu tun haben, Leute führen. Etwas bewegen. Papierkrieg ist nichts für mich !'
'Papperlapapp ! Der Platz eines Mannes ist da, wo sein Land ihn braucht. Marine oder nicht, du bist der Sohn deines Vaters, und der hat keine Schlappmänner hervorgebracht, die sich vor der Pflicht drücken, nur weil das 'nichts für sie ist'. Du wirst irgendwann wieder zum Militär gehen wollen, das weiß ich, und dann wirst du deine Pflicht tun, das weiß ich auch, also laß das Geschwätz !'
'Natürlich, Onkel Friedrich !'
'Wenn ich noch so könnte, wie ich wollte, bei Gott, nichts würde mich in der Heimat halten ! Wieder draußen sein, ein Pferd unterm Hintern, im Feindesland recognízieren, ohne entdeckt zu werden, kleinere Scharmützel liefern oder im verdeckten Feuerkampf mit dem Feind... Ach, nur daran zu denken macht mich ganz kribbelig ! Stellen sich deine Kinder genauso an wie du ?'
'Selbstverständlich nicht, Onkel Friedrich ! Paul ist auf Lehrgang und wird wohl im Februar sein erstes Kommando bekommen. Er hat sich für heute angesagt, kommt also wohl noch. Otto wird im Mai seine Seeoffiziershauptprüfung ablegen, was danach kommt, weiß ich nicht. Vielleicht hält es ihn ja bei den Überwasserschiffen.'
'Hrmpf.' machte Onkel Friedrich. Auch wenn er die Leistungen der Männer dort anerkannte, hielt er von der Marine im Allgemeinen doch nicht viel. 'Ist Clara noch im Landjahr ?'
'Ja, Onkel. Das ist aber bald vorbei.'
'Und dann ? Hat sie schon einen jungen Mann gefunden ?'
'Nein. Aber dafür ist ja noch Zeit. Sie hat begonnen, sich für Medizin zu interessieren und möchte wohl Krankenschwester oder Ärztin werden.'
'HAH ! Eine Studierte in unserer Familie, das fehlte grade noch ! Eine Frau gehört ins Heim zu ihrer Familie und nicht in den Hörsaal, Neffe ! Dein Vater würde sich im Grabe umdrehen, wenn er sehen könnte, was für Flausen du deinen Kindern durchgehen läßt... Man muß dich ja nur reden hören, um zu merken, wie prinzipienlos und weich dich diese Ausbildung gemacht hat. Im Heer hat es das nicht gegeben, da waren noch Zucht und Ordnung. Ich sage dir, einen wie diesen Hitler hätten wir schon vor Jahren gebraucht, der treibt das ganze Pack mit dem eisernen Besen aus dem Land.'
'Wie du meinst, Onkel.'
Für mich war leicht zu hören, daß Vater mit Onkel Friedrichs Worten nicht einverstanden war, ihnen allerdings nicht offen widersprechen oder Onkel Friedrich das merken lassen würde. Ich wollte nicht wirklich mitbekommen, wie es weitergehen würde oder den beiden gar in die Arme laufen, also begab ich mich schnell wieder nach draußen, wo ich eine Gestalt traf, die ich so gar nicht erwartet hatte.
"Günther, was treibt dich denn hierher ?"
Günther Schröder hatte schon vor langer Zeit festgesetzt, daß er von uns nicht gesiezt werden wollte. Das war gerade am Anfang noch sehr gewöhnungsbedürftig gewesen, aber inzwischen ging es tatsächlich.
'Paul hat mich eingeladen, was wohl sonst ? Wie ist es in Danzig ? Alles im Lack ?'
"Ich kann nicht klagen. Die Stadt ist schön, die Mädchen auch. Auf dem Lehrgang läßt es sich aushalten. Alles in allem könnte es deutlich schlimmer sein !'
Ich ließ die etwas persönlicheren Dinge aus. Wie sehr es mich ärgerte, auf dem Trockenen zu sitzen, während andere draußen sein und die Akkoladen ernten konnten, die sie zu Helden machten ! Leutnant Endelmann, der in Scapa Flow eingebrochen war und noch im Oktober das Ritterkreuz erhalten hatte. Günther Prien, der ebenfalls dort schwer gewütet hatte. Die drei Schlachtschiffe, die von Wolfgang Peters und Maximilian Winterstein versenkt worden waren... All das bekam man zu hören und konnte doch nichts tun. Schlimmer noch, es war, als würde der krieg enden, bevor man selber überhaupt randurfte !
'Haha, war ja klar ! Gleich die Damenwelt abgeklopft, wie es sich für einen schneidigen Seeoffizier gehört ! Weiterführende Pläne im Operationsgebiet, Herr Oberleutnant ?'
Ich grinste und zwinkerte ihm zu.
"Geheime Kommandosache, Herr Marineoberingenieur ! Möglicherweise zeichnet sich was ab."
'Immer ran, wer weiß wie wie die Zukunft wird ! Ist Paul da ?'
"Er ist grade mit Großonkel Friedrich im Haus. Soll ich ihm was ausrichten ?"
'Ich warte im Garten auf ihn.'
Damit ging er. Günther Schröder und Großonkel Friedrich waren sich nicht grün, seit sie vor einigen Jahren hart aneinandergeraten waren. Günther ließ es bisweilen etwas am Respekt mangeln, von dem Onkel Friedrich meinte, daß er ihm zustünde. Onkel Friedrich hingegen war nur auf weniges so schlecht zu sprechen wie auf Liberale, Sozis und teilweise Juden, und das waren, wie er sie nannte 'Papisten'. Das wiederum schmeckte Günther nicht, der trotz seiner wenig frömmelnden Art stockkatholisch war. Nun, ich fragte mich, was Vater sich dabei gedacht hatte, diese beiden ins selbe Haus zu holen...
Das konnte noch was werden !
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Wie immer eine sehr anschauliche Lektüre! Man könnte meinen, man stünde daneben, wenn Großonkel Friedrich lospoltert ;)
Weiter so! :top:
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Sehr gut geschrieben, werter Graf! Kann mich dem werten Ritter Kunz nur anschließen! :top:
Weiter so! :)
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Man fühlt sich mitten ins Gespräch versetzt und glaubt voll dabei zu sein, wenn der Großonkel lospalavert...;)
herzlichste grüsse
Hohenlohe...:top:
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Weitere Personen waren am nächsten Tag angekommen, darunter Rudolf und auch zwei Brüder meiner Mutter mit ihren Frauen. Das Haus war entsprechend voll und die Tafel entsprechend lang und dicht besetzt. Von Politik war nicht viel zu hören, Mutter und Großtante Katharina verstanden es meisterhaft, das Thema zu marginalisieren, zu umschiffen oder eben schnell zu wechseln. An der Weihnachtstafel war ihrer Meinung für sowas kein Platz, aber natürlich würde es später aufkommen, wenn die Männer unter sich waren, das war jedem klar. Trotzdem war die Stimmung gut. Einige hatten es nicht geschafft, aber es wurde dennoch eine Photographie von allen Anwesenden gemacht.
Am 27. 12 waren die ersten schon wieder abgereist. Ich kehrte gerade mit Otto und Clara aus dem Garten zurück, als die Stimmen aus dem Salon an unser Ohr drangen. Anscheinend ein lautstarker Streit zwischen mindestens zwei Männern. Nun, es war nicht schwierig zu erraten, um wen es sich dabei handelte, also sprintete ich zur Tür, die halb offen stand, und spähte hindurch. Kein besonders offizierhaftes Verhalten, aber ich wollte da nicht mit hineingezogen werden, bevor ich nicht wußte, worum es ging.
'...natürlich, der Führer ist eine ganz große Leuchte, da können Papst Pius und sein Arbeitgeber nicht gegen anfunzeln. ich sage ihnen was, Hitler kann nicht mal rechts von links unterscheiden. Wenn sie der Meinung sind, daß der das Reich zu neuem Glanz führen wird, dann haben sie ihren Kopf derart tief in wahlweise Hitlers oder ihrem eigenen Arsch, daß sie mir leidtun !'
Onkel Friedrich schnappte hörbar nach Luft.
'Das ist ja... Das ist... Sie wagen es, derart... Wie können Sie... Nehmen Sie das zurück, sie Anarchist !'
'Das werde ich nicht !'
Ich hörte, wie ein Stuhl nach hinten gerissen wurde und auf den Teppich fiel.
'Sie beteuern ihre Vaterlandsliebe, aber wenn es darauf ankommt, dann sehen Sie nicht nach Berlin, sondern nach Rom ! Sie ziehen eine moralisch bankrotte und korrupte Institution der Regierung der nationalen Erneuerung vor und schaden denen, die sie als ihre Landsleute ansehen, während sie gleichzeitig alle Annehmlichkeiten genießen, die Deutschland ihnen bietet ! Jeder anständige Mensch müßte doch unter dieser Heuchelei zerbrechen, aber sie sind ja nichts als ein feiges, opportunistisches Subjekt !'
Ein weiterer Stuhl wurde nach hinten gerissen und fiel auf den Boden.
'ICH HABE NICHT FÜR DIESES LAND MEINEN KOPF HINGEHALTEN, UM MICH JETZT ALS FEIGE BESCHIMPFEN ZU LASSEN ! NEHMEN SIE DAS AUF DER STELLE ZURÜCK, HERR !'
'DAS WERDE ICH NICHT TUN, SIE CHARAKTERLOSER PAPIST !'
'LIEBER PAPIST UND CHARAKTERLOS ALS GENAUSO BORNIERT WIE IHR HERR HITLER UND SEINE SCHWEINSKÖPFE ! LASSEN SIE SICH DOCH MIT DENEN ZUSAMMEN EINKÜMMELN, SIE FOSSIL !'
Totenstille fiel über den Raum. Jedem war klar, daß in diesem Moment eine Grenze überschritten worden war. Ich schaffte gerade noch einen Ausfallschritt in die Ecke neben der Tür, als diese vollends aufgerissen wurde und Schröder wutentbrannt an mir vorbeischoß. Dem Nachspiel des Ganzen wollte ich dann nicht beiwohnen und entfernte mich wieder leise, vor allem, da ich ja auch bald wieder abreisen mußte, um mich auf die schriftlichen und vor allem praktischen Prüfungen vorzubereiten.
Der Januar flog dahin. Clara schrieb, daß es zuhause wohl ein großes Donnerwetter gegeben hatte, aber ließ mich im Unklaren, was Vater bewogen hatte, sich derart deutlich gegen Onkel Friedrich zu stellen, von dem er ja wußte, daß dieser es ihm sehr übel nehmen würde. Irgendetwas mußte passiert sein, daß ihn seine Zurückhaltung und politische Nichteinmischung hatte vergessen lassen ! So genau wollte ich das aber dann auch gar nicht wissen und die weiteren Briefe blieben oberflächlich und belanglos was Politik anging. Die schriftlichen Prüfungen waren recht unproblematisch und auch die praktischen Übungen verliefen größtenteils gut.
"Bestnoten in allen Gebieten, nur mit der Torpedowaffe durchschnittlich, und trotzdem ! Vöhringer kommt zur 7., Bell und Kunze zur 2.. Das sind schonmal drei VIIer, mal eben so. Und dann machen die sowas ! Ist schon erster April ?"
Ich saß im Kasino und machte meinem Ärger Luft. Mit mir am Tisch saßen Fabian Hardorff und Bernd Tebben, die ebenso wie ich zur 1. Flottille kommandiert waren. 1. Flottille war das Todesurteil jeder Ambition, denn 1. Flottille hieß:
Einbaum fahren !
Hardorff zuckte mit den Schultern. 'Sieh's positiv, Paul ! Typ II heißt die Boote sind älteres Modell. Mit Glück kommen wir einen ganzen Monat früher raus als der Rest, die erstmal die volle Baubelehrung mitmachen und sich auch noch an die neuen Boote gewöhnen müssen. Auf den IIern sind wir ja nun alle schon eine Weile gefahren.' Tebben seufzte. 'Das wärs mir wert... 14 Torpedos, Deckgeschütz, höhere Marschgeschwindigkeit und Reichweite, uneingeschränkt hochseetauglich... Das neueste vom neuen, nicht so wie unsere Küsteneimer.' "Nicht hilfreich, Bernd !"
Ich nahm noch einen Schluck Bier und zog an der Zigarette. Als mein Blick auf die Uhr fiel, fiel mir wieder siedendheiß ein, daß ich Anna ja versprochen hatte, sie auszuführen ! Ich hatte auch noch keine Ahnung, wie es mit uns weiter gehen würde, wenn ich Danzig in ein paar Tagen verließ um in Kiel mein Kommando anzutreten... Einerseits, andererseits... Aber das würde sich finden, beschloß ich, kam Zeit, kam Rat ! ich drückte die Zigarette aus, trank das Bier aus, zahlte und verließ das Kasino, um mich ausgehfein zu machen.
Immerhin ließ man eine Dame nicht warten, und so eine schon gar nicht ! Als ich an Anna dachte, wurde meine Laune gleich besser und auch der in Kiel auf mich wartende Einbaum war aufg einmal gar nicht mehr so schlimm. Aber eine Überraschung würde es für mich ja dann doch noch geben.
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Auf einem Einbaum? :eek:
Heidenei, da hat man Euch was vor die Nase gesetzt... :uhoh:
Wie immer sehr schön geschrieben, werter Graf! Nur weiter so! :top: