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Montesquieu
11.08.06, 00:24
So, dann eröffne ich hier mal den AAR Thread, hab da nämlich schon was vorbereitet... :rolleyes:

Montesquieu
11.08.06, 00:32
http://www.zoonpolitikon-online.de/newark.jpg

1. Januar 1936

Es ist ein ziemlich nihilistischer Moment, wenn morgens um neun Uhr eine Feierlichkeit zu Ende geht und die Partygäste sich auf den Weg nach Hause machen. Zwischen Leere und Sehnsucht hängt das Gefühl, dass einem den ganzen Weg nach Hause begleitet. Nicht anders erging es Tom Meyer an diesem frühen Neujahrsmorgen. Die Silvesterfeier war umwerfend gewesen. Auch wenn die Temperaturen weit unter null lagen oder gerade deswegen, hatte man ausgelassen gefeiert. Der Whiskey und der Schaumwein flossen in Strömen, auf dem Plattenspieler rotierten immer und immer wieder die selben Jazzhits des Winters und er hatte Casey Miller sogar den ein oder anderen Kuss abringen können. Mehr war heute nicht drin gewesen, aber sie würden sich sicherlich am nächsten Wochenende wieder sehen, wenn das Spiel mit dem Alkohol und der körperlichen Liebe in die nächste Runde gehen würde.
Tom seufzte, streckte sich ein wenig und blickte sich um. Die Straßen New Arks waren fast wie leergefegt, obwohl die Sonne schon hoch über dem Horizont stand. Dies wird wohl an der Prohibition liegen oder vielmehr an deren Aufgabe. Nun, abgeschafft worden ist sie im Staate New York schon 1933, doch zu besonders außergewöhnlichen Festen wie der Silvesterabend es ist, wird trotzdem immer noch gesoffen, als ob es keinen Morgen mehr geben würde oder die Prohibition in Gestalt einer wilden Suffragette hinter der nächsten Straßenecke lauern könnte, um den redlich feiernden die Flaschen voll Alkohol wieder aus den Händen zu entreissen. Aber, dachte sich Tom, vielleicht verallgemeinerte er wieder zu viel und ließ sich von seiner Phantasie und seinem Vorstellungsvermögen zu Verknüpfungen hinreißen, welche es so nicht gibt. Schließlich ist er erst diesen Sommer 21 geworden. Endlich durfte er vollkommen legal in der Öffentlichkeit trinken ohne irgendwelche Sanktionen zu fürchten. Er hatte zwar schon vorher ausgiebig an Bier, Wein und manch einem Whiskey genascht, doch geschah dies meist in kleinen Gruppen, entweder in der Familie oder im engen Freundeskreis.
Wie sollte man auch der Abkömmling einer deutschen Einwandererfamilie sein und ohne Bier aufwachsen. Dabei kam Großvater Meyer nicht einmal aus Bayern, sondern aus irgendeinem Ort, welcher im Süden Deutschlands am Rhein lag. Doch hier in Amerika, an der Ostküste schien die deutsche Gemeinde vor allem durch das Bier zusammengehalten zu werden. Tom hatte seinen Großvater nie kennegelernt, aber seine Großmutter lebte noch und beschwerte sich zuweilen in einem Mischmasch aus Englisch und Deutsch über das amerikanische Bier und warf Toms Vater vor, dass dieser sich Bier hineinschütten würde, wie ein billiger Proletarier.
Tom klappte den Kragen seines Mantels hoch. Ein scharfer, kalter Wind blies von Osten her vom Atlantik durch die verlassenen Straßen New Arks. Der Alkohol, welcher durch sein Blut zirkulierte hielt ihn trügerisch warm, doch wusste Tom genau, dass einer seiner Freunde aus dem Viertel einmal besoffen und voller Herzschmerz in einer Winternacht auf die Straße getreten ist und er von einem alten Mütterchen halb erfroren am nächsten Morgen in ihrem Vorgarten wiedergefunden worden ist. Sein Fuß war leider nicht mehr zu retten.
Ob dieser Erinnerungen und der Müdigkeit, welche mit und mit versuchte Herr über Toms angetrunkenen Geist zu werden, beschleunigte er seinen Schritt. Außerdem näherte er sich dem italienischen Viertel New Arks, wo Deutschstämmige und andere Einwanderergruppen nicht gerne gesehen waren. In Kindertagen haben sie oft harmlose Kriege gegeneinander ausgetragen, welche für manch ein Mitglied der Banden mit blauen Flecken und Platzwunden endete. Doch heutzutage, wenn halbstarke Gruppen von noch nicht richtig Erwachsenen aufeinanderstossen, welche oft keine Arbeit haben, wird schnell einmal das Messer gezückt.
Deswegen schlug Tom einen kleinen Umweg ein, ging in eine Seitengasse und schaute sich ein bisschen nervös in der Gegend herum. Er ist noch nie in eine größere Prügelei geraten, zumindest nicht nach seiner „Lausbubzeit“ wie seine Oma immer wieder sagte. Bei seinem Bruder, Werner, sah das anders aus. Er hatte zwar einen Beruf, arbeitete in einem Stahlwerk New Arks, aber führte ein ziemlich unstetes Leben. Er hatte sich unter anderem der Gewerkschaft und der sozialistischen Partei angeschlossen, sorgte bei einem Streik schon manchmal für Randale und Toms Vater hatte in schon einige Male aus der kleinen örtlichen Polizeistation holen müssen. Außerdem trieb er sich mit Iren herum, was Tom nicht weiter störte. Auch unter seinen Freunden waren einige Iren und in seiner Meinung waren Werner Genossen von der grünen Insel keinen Deut besser oder schlechter als die deutschen Stahlarbeiter.
„Wenigstens sind sie katholisch!“ sagte seine Mutter oft,
„Aber nicht richtig katholisch! Zu Hause beten sie immer noch ihre Elfen, Kobolde oder sonstiges Heidenzeugs an!“
Tom erwiderte immer wieder darauf: „Wenn das der Papst wüsste!“
Eine vernünftige Diskussion war in dieser Hinsicht mit seinen Eltern sowieso nicht zu führen. Wie die meisten Einwanderer versteiften sich sich auf ihre kulturelle Identität und zogen sich in eine relativ kleine Gruppe zurück. Politisch waren seine Eltern von ihm und seinem Bruder auch meilenweit entfernt. Tom war zwar kein Kommunist wie Werner, doch wählte er demokratisch, Roosevelt. Seine Eltern zogen die Republikaner vor, da sie „der Zentrumspartei noch am nächsten sind. Aber für Katholiken wird hier ja sowieso nichts getan!“
Eine Ähnlichkeit verband Tom allerdings mit seinem Vater. Dieser arbeitete schon zwei Jahrzehnte für eine deutsche Tageszeitung, die „New Ark Nachrichten“. Auch Tom ergriff diesen Weg und fand relativ schnell als kleiner Schreiberling bei der „New Ark Post“ eine Stelle, nachdem er die Highschool abgeschlossen hatte. Wirklich hoch würde er wahrscheinlich nicht kommen, hatte er nicht die Möglichkeit selbst das billigste College zu besuchen, aber wenigstens hatte er sein Auskommen. Bei der nächsten Gehalterhöhung würde er sogar ausziehen können.
Endlich im „deutschen Viertel“ angekommen, verlangsamte er seinen Schritt ein wenig. Er wollte unter seinen dicken Wintersachen nicht zu sehr schwitzen, um dem schneidenden Wind keine Angriffsfläche zu bieten. Diese Gegend bestand zum größten Teil aus kleinen, hölzernen Einfamilienhäuser, welche meist in den besseren Jahren, Mitte der 20er gebaut worden sind. Mitte der 30er waren sie zum größten Teil baufällig und ein neuer Anstrich war das mindeste, was diesen Häusern gut getan hätte. Die große Depression, die schwierigste Zeit für alle Amerikaner, gleich welcher Herkunft, zeigte noch immer ihre schauderhafte Fratze, auch jetzt noch gut sechs Jahre danach.
Überrascht hob Tom seinen Kopf als er einer Bewegung auf der Veranda ihres kleinen Hauses gewahr wurde. Zwei gestalten saßen eng umschlungen auf der Bank, welche direkt neben der Eingangstüre stand. Tom schüttelte seinen Kopf. Er konnte sich schon denken, wer sich dort früh Morgens vergnügte. Leise öffnete er die Türe des alten Zaunes und schlich sich die zwei Stufen der Veranda hoch. Sein Bruder vergrub gerade sein Gesicht in den Hals einer rothaarigen bekannten Schlampe, ein Arm um ihren Rücken gelegt, der andere verschwand auf der Suche nach dem weichen Fleisch ihrer Brüste unter dem Wintermantel dieser eher feisten Schönheit. Sie hatte die Augen geschlossen, war wohl eher schlafend als wach. In diesem Zustand ließ sie wohl alles mit sich machen, was Tom eigentlich egal gewesen wäre, wenn nicht die Gefahr bestünde, dass gleich seine Großmutter auf der Veranda erscheinen würde.
Tom nahm die noch halb volle Flasche Whiskey, welche neben der Bank postiert war auf und räusperte sich. Sein Bruder drehte seinen Kopf nur sehr langsam zu ihm herum, seine Hand verblieb in dem Mantel.
„Na, du Arschloch, auch wieder zurückgekehrt...“
Für seine Beleidigungen benutzte er grundsätzlich deutsche Wörter. Anders kannte er die alte Sprache kaum.
„Nette Begrüßung, Kleiner! Ich glaube, du kannst deiner süßen Freundin hier einen guten Morgen wünschen und sie ins Bockshorn jagen. Ich habe keine Lust, dass mein verdienter Schlaf, durch einen Streit zwischen dir und den Alten gestört wird!“
„Mann, du bist mir vielleicht ein langweiliger Sauerkrautfresser!“
Nun erwachte auch das Objekt Werners Begierde und blickte aus glasigen Augen zu Tom hoch. Ihre Stimme hatte einen harten irischen Akzent:
„Hey, Süsser, wer ist denn das? Will der etwa auch mitmachen!“
Sie störte sich scheinbar nicht daran, dass Werner immer noch ihre Brust massierte, während Tom eher peinlich berührt vor ihnen stand!“
„Ach, Kitty, der will uns den ganzen schönen heiligen Neujahrsmorgen verderben. Können wir zu dir gehen. Unter der Brücke wird es doch ein bisschen zu kalt...“
„Ich glaub es nicht!“ Erwiderte sie angewidert, nahm Werner Arm endlich aus ihrem Mantel raus und erhob sich.
„Die Deutschen haben nicht mal vernünftigen Platz zum Ficken! Ich verschwinde hier!“
Sprachs, nahm noch die Flasche Whiskey mit, natürlich nicht ohne ein großen Schluck ihren Rachen runter fließen zu lassen.
„Ich hätte doch bei Jimmy bleiben sollen, der kann Frauen rannehmen!“
„Ach, verschwinde doch, du Flittchen!“ brüllte ihr Werner hinterher.
Kitty, wie sie Werner nannte, torkelte zum Zaun, versuchte die Türe zu öffnen, was ihr erst nach etwas einer halben Minute gelang. Die zwei Brüder beobachteten diese Situation schon sehr amüsiert, doch brachen sie erst in lauthalses Gelache aus, als Kitty bei dem Versuch durch die Türe zu treten mit ihrem Rock in dieser hängenblieb, sich mit aller Gewalt losreissen wollte und der Nase land auf dem Bürgersteig landete. Dabei blieb die Hälfte des Rockes am Zaun und offenbarte so ihr weißes Höschen.
„Fuck, ihr Schweine seid der letzte Dreck! Fahrt zur Hölle“
„Ja, ja, wir kommen dich dort einmal besuchen!“ rief Werner der fluchenden Kitty noch hinterher.
„Komm, Werner, es reicht, lass uns schlafen gehen.“ Tom gähnte und schloss die Eingangstür zu ihrem Haus auf.
Drinnen angekommen schlichen sie beide die Treppe hoch in das Zimmer, was sie beide bewohnten. Ihre Eltern und Großmutter schienen noch nicht auf zu sein. Vielleicht haben sie dieses Neujahr auch mit dem ein oder anderen Wein zuviel begrüßt, dachte sich Tom und ließ sich in sein Bett fallen. Nach kurzer Zeit hörte er leises Schnarchen von Werner, welcher sich nicht einmal die Mühe gemacht hatte, seine Kleider auszuziehen. Nach kurzer Zeit fiel auch Tom in einen traumlosen, aber leichten Schlaf.

Montesquieu
11.08.06, 00:41
http://homicide.northwestern.edu/timeline/1915/large/73.jpg

23. Januar 1936

„Völker hört die Signale, auf zum letzten Gefecht, die Internationale erkämpft das Menschenrecht!“
Die roten Fahnen wurden geschwungen und zu hunderten marschierten sie vor dem Stahlwerk herauf und herunter. Dies war wohl einer der größten Demonstrationen, welche New Ark in den letzten Jahren erlebt hatte. Die sozialistische Partei hatte gerufen und die Gewerkschaften folgten. Natürlich auch Werner, welcher gerade Arm in Arm mit seinen Genossen in vorderster Front ging. Die Macht der Arbeiter schien immer weiter zu wachsen und dies obwohl die schlimmsten Zeiten der Weltwirtschaftskrise vorbei zu sein schienen. Die wenigstens Proletarier mussten diesen Winter noch wirklich harten Hunger leiden, gut, die meisten Mägen waren nicht so gut gefüllt, wie sie es sein müssten, aber man kam durch.
Aber dies war auch einer der Gründe, weswegen nun mehr Menschen aktiv Politik und Revolution betreiben wollten. Wer kurz vor dem Hungertod steht, hat für Marx, Engels und Lenin wohl wenig übrig. Der wirft sich allzu schnell dem nächsten Kapitalisten um den Hals, dessen Sklavenarbeit wenigstens ein wenig Brot einbringt. Nun aber war die Zeit gekommen die Verbrechen der kapitalistischen Rooseveltschen Regierung zu brandmarken, diesem Wolf im Schafspelz, welcher hinter dem Deckmantel von sozialen Reformen immer noch eine unmenschliche Diktatur des Kapitals führte.
Und immer, immer wieder wurden neue Tempel der Unterdrückung und der Entmündigung der Arbeiterklasse gebaut. Anfang Januar gab Roosevelt bekannt, dass neue Fabriken entstehen sollten, auch hier in New Ark. Der Zweck war Werner sofort klar. Diese neuen Fließbänder und Lagerhallen waren einzig dafür da, um die imperialistischen Gelüste der amerikanischen Bourgeoisie zu befriedigen. Werner konnte von den isolationistischen Reden nicht beeindruckt werden, man rüstete selbstverständlich zum Krieg gegen die kommunistischen Bruderstaaten in der Welt, allen voran gegen die Sowjetunion, welche das marxsche Ideal durch Lenin und nun Stalin bald verwirklicht hatte. Doch die kapitalistische Propaganda funktionierte natürlich blendend. Immer wieder veröffentlichten die Schmierblätter Berichte über angebliche Ermordungen durch Stalins Hand, welche natürlich allesamt erstunken und erlogen waren.
Das Problem war nur, dass sein Bruder einer von ihnen war, von diesen Roosevelt-Anhängern und dazu noch für eines dieser Propagandaorgane schrieb. Nun, er meinte es sicher gut, er war kein schlechter Mensch. Werner liebte ihn aus vollem Herzen, er war ja schließlich sein Bruder, doch politisch sicher ein Kind, auch wenn er der Ältere war. Wenigstens waren Tom die Republikaner genauso obskur wie Werner. Doch auf die Strasse trieb es seinen großen Bruder nie, politisch war er allgemein eher ein Kind von Traurigkeit. Seine kleinen Kolumnen drehten sich eher über die kommunalen Belange New Arks; er war noch ein viel zu kleiner Fisch bei der „Post“, um über die die großen Zusammenhänge schreiben zu können.
Die große Gruppe Demonstranten hielt vor dem Werkstor an. Werner nestelte in seiner Tasche, um seinen Tabak hervorzuholen. Heute war einer dieser Tage, an dem nicht mal ein Hund Gassi gehen würde. Die meisten Arbeiter waren dick vermummt und sicherlich nicht, weil sie nicht erkannt werden wollten. Schwere Schals hatten sie sich ums Gesicht gewickelt, nur die Augen guckten hervor. Von Zeit zu Zeit wurde der Kälteschutz nur gelockert, um sich eine Zigarette zu gönnen, wie es Werner gerade tat.
Nun begann die Kundgebung. Der Gewerkschaftsführer und lokale Vorsitzende der Sozialistischen Partei, Genosse O´Donovan, ein Ire, betrat eine improvisierte Tribüne. Es waren ein paar Kisten, welche in aller Eile zusammengesucht worden sind. Die Organisation war nicht die beste, aber bisher hat es immer wieder geklappt. Die Arbeiterbewegung musste sich auch durch die Masse, die Menge auszeichnen, da war es zu verschmerzen, dass man keine gestrichene Tribüne besaß, welche mit Wimpeln, Fahnen und Concarden geschmückt war.
Werner zog an seiner Zigarette, behielt den Rauch lange in seiner Lunge, so dass kaum welcher seine Lippen verließ. O´Donovan hob seine tiefe und eindringliche Stimme an:
„Viel zu lange, ich sage, viel zu lange leidet die Arbeiterklasse unter der schrecklichen Herrschaft der Reichen, der Fetten, der Unnachgiebigen! Obwohl auf unseren Schultern die gesamte Gesellschaft ruht, bleibt der Gewinn, gehen die Früchte unserer Arbeitskraft in die schon gefüllten Taschen der Kapitalisten. Ja, Genossen, sie sitzen in Manhattan in ihren großen Wolkenkratzern aus Stahl, entscheiden über unser Leben, sie sitzen in Coney Island in ihren Villen und fressen unser Leben auf! Wir können dies nicht länger dulden, Genossen!“
Als Antwort auf den letzten Satz entlud sich die angestaute Wut des Mobs. Fäuste wurden in die Luft gestreckt, die roten Flaggen geschwungen und O´Donovan zustimmende Parolen entgegen gebrüllt.
„Nun stehen wir hier vor einer ihrer Fabriken. Eine ihrer Fabriken in der wir Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr uns schinden, uns schinden für einen Hungerlohn, der gerade mal ausreicht um unsere Familie, unsere Kinder und unsere tapferen Fraune mit dem nötigsten zu versorgen. An irgendeinen Luxus ist nicht zu denken. Worte wie Urlaub oder College bleiben für uns nur leer. Wenn die Verhältnisse bleiben wie sie sind, so bleiben wir Sklaven. Ja, wir müssen schlimmere Verhältnisse durchstehen als die Nigger im Süden in der alten Zeit!“
Wieder brandete lauthalser Beifall auf. Nur die paar schwarzen Arbeiter, welche mitmarschierten schienen, ob der letzten Aussage nicht sonderlich erfreut zu sein. Werner zog an der zum Stummel gewordenen Zigarette, machte sie vorsichtig auf dem Boden aus und steckte den letzten Rest Tabak wieder in seinen Beutel.
„Die Politik, meine lieben Genossen, diese fetten Bonzen in Washington leben nur für ihr Klientel. Sie sagen, sie wären sozial, sie sind Blutsauger. Sie sagen, sie verstehen die Belange der arbeitenden Klase, sie hören nur auf die Interessen der großen Konzerne. Wer nie das Leid auf der Straße, in den Mietskasernen, in den dreckigen Vorstädten von New York mitbekommen hat, der wird uns nie verstehen, der ist ein Lügner und Diktator!“
Bei den letzten Worten wandelte sich O´Donovans ansonsten laute, feste Baritonstimme in eine laute schrille. Werner war diese Art von Vorwürfen ein wenig unangenehm. Er kam nicht aus einer sehr armen Arbeiterfamilie. Sie wohnten in einer der besseren Einwanderergegenden von New Ark, in einem zwar kleinen Haus, aber immerhin nicht in einer dieser Mietskasernen, wie so viele in Brooklyn und Queens standen. Seine Vater brachte immer genug Geld mit nach Hause, um die ganze Familie zu ernähren. Sicher, sie hatten schon ihre Probleme nach dem schwarzen Freitag und oft fehlte das Geld, um genug Kohle zu kaufen, um es „gemütlich“ zu haben, wie seine Oma öfters sagte, doch er kannte die schlimmsten Geschichten nur aus Erzählungen. Wie in einer Wohnung acht Mann unterkommen mussten und diese aufgrund gar keiner Heizmöglichkeiten im Winter eng zusammenliegen mussten. Mann und Frau, manchmal Fremde, um sich zu wärmen. Katzen und Hunde mussten oft als Nahrung dienen, alles in allem eine schreckliche Situation.
Bei Werner lag es an seiner eigenen Faulheit, dass er nun in einem Stahlwerk arbeitet. Die Schule war nicht gerade sein Steckenpferd gewesen. Die besten Momente waren dies, als sie sich unter der Eisenbahnbrücke getroffen haben, um ihre ersten Versuche mit Whiskey zu machen. Oder die Momente als der einzige Neger in der Klasse etwas Marihuana dabei hatte und sie während des Sportunterrichts aus dem Lachen nicht mehr herauskamen. Nun, die Schläge mit dem Rohrstock waren als Strafe schmerzhaft und Mr. McMiller zeigte mit seinen Schülern, seinen Untergebenden keine Gnade. Oft musste seine Mutter ihm den Rücken und die Hände mit Jod einreiben, weil er wieder einmal den Unterricht geschwänzt hatte oder irgendetwas anderes angestellt hatte und er darauf gezüchtigt worden ist.
Die Schule war also ein kompletter Reinfall und er kann wirklich nicht begreifen, wie er es bis zum Ende durchgehalten hatte. Doch nach dem Abschluss fiel er in ein noch größeres Loch. Die Schule gab ihm wenigstens noch ein wenig Halt, wenigstens verließ er Morgens noch immer zu einer festen Zeit das Haus, auch wenn er danach oft nicht direkt zur Schule ging. Er bemühte sich gar nicht mehr aus dem Bett zu kommen und hielt sich viel zu oft and die einschläfernde Wirkung des Marihuanas, welches viel billiger als Alkohol war.
Er hätte, ja, er hätte einmal die Möglichkeit gehabt in die Buchhaltung einer Reederei als Laufbursche zu kommen. Werner fing sogar dort an, kam am ersten Tag adrett gekleidet in einem Anzug zur Arbeit, doch im Endeffekt war es ein totaler Reinfall. Sein Boss ein Tyrann, die Arbeit stupide, die Mitarbeiter Speichellecker. Kurzum, er flog nach zwei Wochen raus. Danach wieder Betäubung mit Alkohol und Gras, kurze Befriedigung mit irgendwelchen leichten Mädchen. Sinnlosigkeit machte in matt, machte ihn zu einem Nichtsnutz.
Seine Eltern setzten ihm dann nach zwei Monaten des Faulenzens die Pistole auf die Brust. Er würde nicht mehr durchgefüttert, sondern hochkantig rausgeworfen, wenn er sich nicht auf der Stelle einen Job suchen würde. Dies reichte für einen Riesenstreit und Werner verbrachte die ganze nächste Woche bei ein paar irischen Freunden. Diese arbeitenden fast alle im Hammer&Sons Stahlwerk, eines der größten im Großraum New York. Die Depression neigte sich ihrem Ende entgegen, es wurden wieder neue Arbeiter benötigt.
Zudem faszinierte ihn zusehends die Ideologie des Kommunismus. In langen Diskussionen wurden ihm die Lehren eines Marx beigebracht. Der irische Whiskey floss in Strömen und die Gedanken waren rot eingefärbt. Vor dieser Woche hat sich Werner noch nicht für irgendeine Art der Politik interessiert, noch nie gewählt. Er war ein kleiner Halbstarker und seine rebellischen Handlungen waren ohne Ziel und Zweck. Nun begann er sich mit den Gedanken und den Wünschen der arbeitenden Klasse zu solidarisieren. Außerdem erschien ihm die Arbeit im Stahlwerk recht einfach, was sich noch als Fehler herausstellen sollte.
Er nahm den Job dort an und bekam einen Platz bei der großen Stahlwalze zugeteilt. Seine Eltern waren nicht sonderlich begeistert, dass er unter die Proletarier gegangen ist, doch nahmen sie ihn wieder zähneknirschend auf. Er bekam wieder sein kleines Zimmer mit Tom im ersten Stock ihres kleinen Hauses.
Die Arbeit stellte sich als hart und schweißtreibend heraus. Am Ende eines Tages hatte er oft keine Lust mehr auf Whiskey und wollte einfach nur ins Bett. Trotzdem gab er diese Arbeit nicht auf. Die Gemeinschaft der Proletarier hatte ihn schon zu sehr eingenommen. Soviel Halt hatte er noch nie gespürt, so intellektuell gefordert wie durch die kommunistischen Schriften ist er noch nie geworden. Außerdem lernte er nun das erste Mal die Welt kennen, zumindest die kommunistische. Er verschlang Nachrichten und Geschichten aus der Sowjetunion, wunderte sich, aber bewunderte auch die spanischen Anarchisten und diskutierte Lautstark über die Erfolgsaussichten von manchen südamerikanischen Freiheitsbewegungen.
Die Situation vor dem Werkstor verschärfte sich zusehends. Ein ungemütliches Geraune ging durch die Menge. Werner blickte sich um. Vom Werktor aus führten zwei Straßen weg, eine Rechts vom Eingang, eine Geradeaus, abgeschlossen durch hohe Lagerhallen. Diese zwei Straßen wurden nun durch etwa zwei Hunderschaften Polizei versperrt. Dort standen sie in ihren langen blauen Wintermänteln. Die meisten wirkten ruhig, aus ihren Nasen entströmte langsam Wasserdampf. Doch einige schwangen erwartungsvoll ihre Knüppel. Sie konnten es anscheinend nicht erwarten bis sie ein paar Arbeitern den Arsch versohlen konnten.

Wahnfried
11.08.06, 11:14
http://img139.imageshack.us/img139/2659/wochenschaujg1.jpg

Tätäätä, Tätäätä, die Deutsche Wochenschau, tätäätä!

Die Feierlichkeiten zum neuen Jahr 1936 wurden mit dem Abschluß eines Verteidigungspaktes zwischen dem Deutschen Reich und Japan gekrönt. Hören wir dazu die Worte des Führers des Deutschen Reiches, Anton Hiller.

"Deutsche Volksgenossen und -genossinnen, mit der Unterrrrzeichung des Hilfs- und Verrrrrteidigungspaktes zwischen dem Deutschen Rrrreiches und Japan sind wirrrr in eine neue Ärrrra eingetrrrreten. Der Wiederrrrrauferrrrrrstehung unseres Volkes sind wirrrr wiederrrrr ein Stück näherrrrr gekommen. Wenn wirrrr selbst dieses deutsche Volk emporrrrrführrrren zu eigenerrrrr Arrrrbeit, zu eigenem Fleiß, eigenerrrrr Entschlossenheit, eigenem Trrrrrotz, eigenerrrr Beharrrrrlichkeit, dann werden wirrr wiederrrr emporsteigen – genau wie die Väter einst auch Deutschland nicht geschenkt errrrrhielten, sondern selbst sich schaffen mußten. Deutsches Volk! Gib uns 13 Jahrrrre Zeit, dann rrrrichte und urrrrteile überrrr uns. Deutsches Volk, gib uns 13 Jahrrrre, und ich schwörrrre dirrrr: So wie wirrrr, und so wie ich in dieses Amt eintrrrrat, so will ich dann gehen. Ich tat es nicht um Gehalt und nicht um Lohn, ich tat es um deinerrrr selbst wegen.“ Blablabla......


Das Forschungsministerium gibt bekannt. Die Planzahlen konnten nicht nur erreicht werden, sondern werden in naher Zukunft sogar übertroffen werden.


3.1.1936 Sondermeldung des Deutschen Rundfunks.

http://images.encarta.msn.com/xrefmedia/sharemed/targets/images/pho/000a4/000a45e7.jpg

Deutsche Truppen sind im Morgengrauen über die Deutzerbrücke in Köln einmarschiert. Auf den Türmen der alten Deutschen Reichsstadt weht wieder die Deutsche Fahne. Die Bevölkerung brach in frenetischen Jubel aus. Eine Reaktion von seiten Frankreich steht noch aus.

In Berlin wurde mit den Staatsoberhäuptern von Ungarn und Rumänien ein Hilfs- und Nichtangriffspakt abgeschlossen.

http://www.gyakg.u-szeged.hu/tanar/farkzolt/HORTHY/HORTHY.GIF
Admiral Horthy

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/2/2d/Carol2.JPG
König Carol II

Der Führer nannte diesen Schritt ein weitere Meilenstein zur Verwirklichung eines einigen Europas unter Deutscher Fuehrung.

20.1.1936
Wie uns so eben mitgeteilt wurde hat der Reichsmarschall und Reichsjägermeister Hermann Gerink, im Reichsforst in der Schorfheide einen kapitalen Eber erlegt.

21.1.1936
Der Gesandte des Tennos ist seinen Verletzungen, erlegen die er sich bei einem Jagdunfall in der Schorfheide zugezogen hat. Augenzeugen vermuten das man ihn für eine Wildsau gehalten hat und er deshalb aus versehen erlegt wurde.
Die japanische Regierung trat daraufhin aus dem Büdniss mit dem deutschen Reich aus. Der Führer nannte diesen Schritt bedauerlich, aber was kann man schon von den gelben Untermenschen errrrwarrrten. :D


20.3.1936
Sondermeldung des Deutschen Rundfunks.
Italien und Japan traten dem Büdniss Deutschland-Ungarn-Rumänien bei. Die Feierlichkeiten in der Reichskanzlei http://www.axishistory.com/fileadmin/user_upload/k/kanzlei-color2.jpg

Waren die prachtvollsten seit langer Zeit. Es wurden etliche Unterstützungs- und Handelsverträge unterzeichnet und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit gelobt.

Der Führer würdigte die Leistungen der italienischen Truppen in Äthiopien und lobte die Japaner als die Preussen Asiens.

Die Sovietische Führung tobte als sie vom Abschluß des Dreimächtepaktes erfuhrt. Der Vorsitzende der KP Chrischinsky Colonellowitsch Bronsky soll sich in einem Anfall maßloser Tobsucht eine Kiste Vodka eingeflößt haben und wurde in das Kremelkospital zur Entgiftung eingeliefert.

Handelsabkommen mit der SU wurden zurückgewiesen! ;)

DBM
11.08.06, 11:25
http://www.kgp-clan.org/zeitung_fra_1.gif

Montesquieu
16.08.06, 03:10
http://www.zoonpolitikon-online.de/FDR.jpg

23. November 1936

„Wann kommst du denn endlich ins Bett? Kannst du nichtmal einen Moment deine Schreibmaschine in Ruhe lassen?“
Tom zog an seiner Zigarette, behielt den Rauch ein paar Sekunden in seiner Lunge und blies ihn langsam in Richtung der kleinen Tischlampe, welche neben seiner alten Schreibmaschine stand. Er beobachtete den blauen Dunst eine Weile, wie er im fahlen elektrischen Licht langsam vorbeizog und erhob dann das Wort:
„Marien, du weißt doch ganz genau, dass der Artikel bis Morgen fertig sein muss. Ich kann mir doch auch nicht aussuchen, dass Roosevelt mir nichts, dir nichts, seine ganze Politik über den Haufen wirft.“
Die letzten Monate waren wahrlich aufregende gewesen für ihn, Amerika und wohl die ganze Welt. Nun, ihm ist es wohl am besten ergangen. Durch ein bisschen Glück und journalistisches Geschick konnte er sich in der „New Ark Post“ nach oben arbeiten. Nachdem er am Anfang des Jahres noch Handlangerjobs erledigen musste, ab und an mal einen kleine Bekanntmachung schreiben durfte, wurde er vor einem Monat in die Redaktion für Politik versetzt. Dies ging mit einer guten Gehaltserhöhung einher und ermöglichte Tom das Elternhaus zu verlassen und sich eine kleine Ein-Zimmer-Wohnung in Downton NewArk zu leisten. Nun durfte er längere Artikel verfassen, zwar nur für den kommunalen Teil, aber dies war auch schon etwas. Die „New Ark Post“ war zu klein, um dieses Ressort in Innen- und Außenpolitik einzuteilen, aber wenigstens hatte man seit ein paar Wochen einen eigenen Korrespondenten in Washington. Was auch nötig war. Die Ereignisse hatten sich einfach überschlagen.
Schon der gesamte Wahlkampf im Jahre 1936 war nur von einem Thema überschattet worden: Den Arbeiterunruhen im ganzen Land und der kommunistischen Gefahr. Scheinbar hatte sich die Mittelschicht wieder weitestgehend von der Weltwirtschaftskrise erholt, denn nun war nicht mehr die Arbeitslosigkeit Thema Nummer 1 der Zeitungen, sondern Anschläge. Nun gut, es wurden keine Bomben gezündet, noch nicht, aber es brannte schon einmal das Auto eines Fabrikbesitzers. Der größte Anlass zur Beunruhigung war, dass in Cincinatti die Arbeiter einer Tuchfabrik über zwei Wochen lang das Werksgelände besetzt hielten. Dieser Aufstand wurde allerdings ziemlich blutig niedergeschlagen, wie die meisten Demonstrationen und Gewerkschaftsversammlungen.
Wie gesagt, einen großen Einfluß hatten diese Demonstrationen nicht auf die Gesellschaft der USA, nicht einmal auf die Wirtschaft, doch reichte es aus, um das Sommerloch zu füllen. Die Boulevard-Blätter stürzten sich wie Haie auf dieses Thema und schlachteten, wo es nur ging, aus. Es dauerte nicht lange, bis auch die etablierten Blätter auf diesen Zug aufsprangen. Bald sah sich der brave amerikanische Bürger einer Roten Gefahr gegenüber, wie es sie noch nicht gegeben hatte. Nach manch einem Schreiberling war Amerika kurz vor der Übernahme durch kommunistische Kräfte.
Dies alles kam FDR sehr ungelegen, war er doch der Präsident, welcher die meisten Sozialreformen in der Geschichte der Vereinigten Staaten durchgesetzt hatte. Nun wurde er von Republikanern, was nicht weiter verwunderte, von den Zeitungen und schließlich von der öffentlichen Meinung attackiert. Manche Demokraten, welche Tom auf der ein oder anderen Party kennen gelernt hatte, sprachen von einer großen Verschwörung der Konservativen Kräfte im Land. Sie beschworen sogar eine Putsch-Gefahr, nach bestem spanischem Vorbild.
Spanien, ja, Spanien. Dieser verdammte Bürgerkrieg machte es Roosevelt auch nicht leicht. Auf der einen Seite die Republik, welche von der Sowjetunion unterstützt wurde. Dies passte natürlich in die Panikmache der Rechten. Stalin griff nach Westeuropa aus und in den USA brodelte es auch. An seiner Seite Frankreich und Großbritannien, auch schon unterwandert. Die spanischen Nationalisten wurden hingegen von Italien und dem deutschen Reich mit Flugzeugen, Panzern und Soldaten versorgt. Tja und Faschisten waren einem Teil der amerikanischen Öffentlichkeit lieber als Kommunisten, dem anderen ein Gräuel.
Tom strich sich durch die Haare und klopfte mit seiner rechten Hand auf dem Tisch. Sein Bruder Werner ist während dieser Kommunistenhetze unter die Räder gekommen. Gestorben ist er nicht, Gott bewahre, doch er durfte seine Zeit hinter Gittern absitzen. Nach der Demonstration Ende Januar kam er noch relativ glimpflich davon: Ein blaues Auge und zwei Tage in der Zelle waren die Strafe für seine sozialistischen Umtriebe. Nachdem sich die Lage während des frühen Sommers, Ende Juni, Anfang Juli, aber anspannte, traf es ihn härter. Er war ja schon aktenkundig gewesen und so nahm die Polizei ein illegales Treffen der Gewerkschaft zum Anlass ihn direkt für zwei Jahre wegzusperren. Sein Glück war es, dass Tom und sein Vater einen guten Anwalt auftreiben konnten, welcher die Strafe auf Bewährung herunterdrücken konnte.
Doch Werner hatte anscheinend genug von diesem Land. Eine Woche lang verzog er sich in die Dachkammer, das ehemalige gemeinsame Schlafzimmer, zurück und war praktisch nicht ansprechbar. Tom besuchte ihn oft, aber es kam kein vernüftiges Gespräch zustande. Und dann auf einmal war er verschwunden. Seine Eltern und Tom spekulierten darauf, dass er wieder zu seinen irischen Arbeiterkollegen geflohen wäre, sich jetzt einen schönen Lenz mit Whiskey und Weibern machen würde.
Die Konsequenz wäre natürlich gewesen, dass er irgendwann bei irgendwelchen Umtrieben von der Polizei geschnappt worden wäre und diesmal seine ganze Strafe absitzen hätte müssen. Toms Eltern waren am Boden zerstört.
Was sich aber Anfang Oktober ereignete, brachte die normale deutsche Einwandererfamilie vollkommen aus dem Konzept. Sie erhielten einen Brief von Werner, doch dieser Brief kam nicht irgendwoher, nein, er kam aus Spanien. Toms Bruder hatte sich doch tatsächlich der internationalen Brigade angeschlossen, welche durch Stalin aufgestellt und ausgerüstet worden war, um die Francisten von der iberischen Halbinsel zu vertreiben. Mutter Meyer war einer Ohnmacht nahe und Toms Vater stand wie versteinert vor dem Fenster und starrte hinaus, als Tom ihnen den Brief vorlies.
Es war viel von „Pflicht“ und „Verantwortung“ zu lesen, vom „Beginn des Endkampfes zwischen kapitalistischer Reaktion und den aufopferungswilligen Kämpfern des Proletariats“. Er stecke gerade mitten in der Ausbildung. Sie befänden sich irgendwo östlich von Madrid in den Hügeln und er hätte gerade gelernt mit dem Bajonett richtig umzugehen. Er wünschte sich, dass die Familie es nicht allzu schwer nehmen würden und versicherte, dass er unbeschadet zurückkehren werde und der ganze Bürgerkrieg spätestens bis Weihnachten vorüber sei.
Toms Vater nahm den Brief und schmiss ihn wortlos ins Feuer des Herdes. Es wurde nie wieder darüber gesprochen, obwohl Werners Abwesenheit wie eine graue Wolke über jedem Treffen der Familie hing.
„Jetzt komm doch ins Bett, es erwartet dich auch etwas ganz, ganz entspannendes.“
Marien hatte sich unbemerkt an den in Gedanken versunkenen Tom herangeschlichen und säuselte ihm süß ins Ohr.
„Darling, ich will ja gerne, aber dies ist sehr, sehr wichtig... Hey!“
Marien hatte ihm sanft in sein rechtes Ohrläppchen gebissen und küsste nun sanft Toms Hals.
„Kann es denn wirklich so wichtig sein?“
Tom wandte seinen Kopf langsam zur Seite, strich eine blonde Strähne zurück, welche ihr ins Gesicht gefallen war und blickte ihr in wundervollen blauen Augen. Die Lust überkam ihn schon. Marien bemerkte dies und versuchte sie noch zu verstärken, indem sie ihren Kopf ein wenig zur Seite legte und sich neckisch auf die Unterlippe biss. Ach, wie gut ging es ihm mit ihr. Sie hatten sich in dem neu eröffneten Kaufhaus kennen gelernt, wo sie als Kassiererin arbeitete. Marien hatte ihm ein paar Tips zur Krawattenwahl gegeben und Tom hatte sie als Dankeschön zu einer Tasse Kaffe eingeladen.
Man gefiel sich, die Treffen wurden mehr und man verliebte sich. Nun waren sie etwa vier Monate zusammen, aber erst richtig nachdem Tom ausgezogen war und er dadurch die Möglichkeit erhielt mit Marien richtig alleine zu sein. Sie wohnte noch bei ihren Eltern, was für ihre 19 Jahre nichts Ungewöhnliches war. Außerdem lebte eine unverheiratete Frau nicht alleine.
„Ich beeile mich. Versprochen!“
„Ich akzeptiere nur eine Wartezeit von fünf Minuten, mein lieber Herr Meyer. Danach werde ich mich beleidigt ankleiden, zu meinen Eltern gehen und dich nie, nie wieder sehen.“
Tom lachte kurz auf und tätschelte sanft ihre Wangen.
„Ach, dann wirst du ihnen wohl erklären müssen, warum das Treffen der katholischen Mädchengruppe heute mitten in der Nacht aufgehört hat.“
„Wir katholischen Mädchen haben halt unsere Gründe.“
Marien stand auf küsste ihn kurz, aber leidenschaftlich auf den Mund und verschwand wieder im Bett.
Tom wandte sich nun seiner Schreibmaschine zu und dachte kurz nach. Er sollte über die Konsequenzen von Roosevelts neuen Gesetzen speziell für NewArk schreiben. Als Konsequenz der Unruhen und eines Wahlversprechens hatte er in kürzester Zeit ein Gesetzespaket verabschiedet, welches die Versammlungsfreiheit stark einschränkte, Polizisten weit reichende Befugnisse gab, ohne einen richterlichen Beschluss zu handeln und Hoovers FBI zur Abwehr der kommunistischen Gefahr bereit machte. Alles in Allem wurden ziemlich extremistischen Forderungen nachgegeben, welche allerdings die Masse der Bevölkerung beruhigten.
Sogar die Zeitungen lobten Roosevelt einhellig für diese Schritte, obwohl auch Maßnahmen vorgesehen waren, welche ganz klar gegen linksgerichtete Schreiber gerichtet waren. Unter dem Vorwand der Propaganda war es nun möglich gewisse Ausgaben nachträglich einzuziehen. Die Zensur hatte in die Vereinigten Staaten Einzug gehalten. Dies alles gefiel Tom ganz und gar nicht.
Doch nun musste er einen durchaus positiven Artikel schreiben. Heute hatte er mit ein paar Polizisten geredet, welche durchaus angetan von den neuen Gesetzen waren. Diese Aussagen schrieb er nun in einem kleinen, feinen Artikel zusammen. Kein Meisterwerk, aber ehrliche Meinungen, waren zur Zeit sowieso nicht so gefragt. Dies hatte der Chefredakteur der gesammelten Redaktion heute auch verkündet. Bis der Sturm vorüber zog, solle man halt gute Miene zum bösen Spiel machen.
Marien rief leise seinen Namen. Tom knipste die Schreibtischlampe aus, knöpfte sein Hemd auf und verschwand unter der Bettdecke.

DBM
16.08.06, 09:27
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