PDA

Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Spielkritik



Enrico Frattini
27.02.09, 12:04
Als ich mir EU: Rome gekauft habe war ich erst mal ziemlich enttäuscht, da ich HoI 2 gut kenne und von Paradox mehr erwartet hatte. Nun habe ich es nochmal eine längere Zeit gespielt und ich muss sagen, es hat trotz seiner Schwächen durchaus seinen Reiz und bei all meiner Kritik: Das Spiel ist gut und durchaus ausbaufähig. Trotzdem muss ich einige Dinge loswerden und hoffe, dass es gelesen wird und vielleicht sogar beim Entwickler ankommt.;)

I. Militär
1. Die Einheiten: Es gibt nur wenige Truppengattungen, auf die alle (wenn sie die Recourcen besitzen) Zugriff haben und die zu Beginn des Spiels für alle die gleichen Kampfwerte besitzen. -Dies ist das größte Ärgernis- In der Antike gab es eine Vielzahl von Spezialeinheiten mit Stärken und Schwächen, die, richtig verwendet, den Sieg brachten. -Dies macht den Reiz eines Strategiespiels der Antike aus!!!-

Phalanx: Philipp II. von Makedonien rüstete seine Phalanx mit der 6 m langen Sarissa (Speer) aus. Sie musste mit beiden Händen gehalten werden und daher musste auf einen Schild verzichtet werden. Sie war der griechischen Phalanx mit Schild und kurzem Speer überlegen, da sie auf Distanz gehalten werden konnte. Kavallerie hatte keine Chance in eine Sarissen-Phalanx einzubrechen. Das machte ihre Überlegenheit gegen die Perser aus. Sie war allerdings sehr schwerfällig und eine reine Defensiveinheit, die vor allem anfällig für Geschosstruppen war. Besonders die flexible römische Infantrie mit ihren Pila (Wurfspeer) war dieser Phalanx deutlich überlegen und stampfte sie in Null-Komma-Nix in Grund und Boden, wenn sie sich entfalten konnte.

Legion: Ein paar Salven Wurfspeere der Velites (leichte Infantrie) brachten die gegnerische Schlachtordnung durcheinander. Dann nochmal zwei Salven durch die Hastati (schwere Infantrie 1. Treffen) und ein Angriff mit gezogenem Gladius. Die Manipulartaktik erlaubte jeder Kohorte (480 Mann) ein Höchstmaß an Flexibilität. Sie konnte jede Lücke beim Gegner ausnutzen. Wenn der erste Angriff nicht gelang nochmal zwei Salven und ein zweiter Angriff der Principes (schwere Infantrie 2. Treffen) - keine Phalanx überlebte das!!!
Allerdings: Das fehlen von langen Kampfspeeren (hatten nur die Triarii, 3. Treffen) und die lockere Schlachtordnung machten sie etwas anfälliger für Kavallerieangriffe. Tatsächlich war die römische Armee nie wirklich erfolgreich gegen die Parther oder Perser, die vor allem auf Reiter und Bogenschützen setzten.

Elephanten: Nur eine Anmerkung: Pferde weigern sich, in die Nähe von Elephanten zu traben. Elephanten sind zwar langsamer, aber es wird niemals ein Kavallerieangriff auf sie geben!!! Bei der Schlacht von Ipsos (301 v.Chr.) schob sich die Elephantenstreitmacht des Seleukos zwischen die Infantrie und die Kavallerie des Heeres des Antigonos Monophtalmos und entschied so die Schlacht, da seine Kavallerie nicht mehr in die Schlacht eingreifen konnte.

Kavallerie: Ohne den Steigbügel war ein Frontalangriff auf schwere Infantrie noch nicht möglich. Ein Sieg der Kavallerie an den Flügeln ermöglichte jedoch einen Flankenangriff auf die Infantrie mit verheerender und schlachtentscheinder Wirkung. Die Qualität der Kavallerie schwankte erheblich. Die Römische war kaum zu gebrauchen - erst die Rekrutierung von keltischer Kavallerie gab den Römern eine brauchbare Reiterei -, während die östliche und besonders die karthagische ganz hervorragend war. Hannibal war nur erfolgreich wegen seiner überlegenen Reiter.

Bogenschützen: Sie standen vor!!! der Infantrie - Langbögen gab es noch nicht und über die eigenen Reihen schoss man wegen der begrenzten Reichweite der Bögen nicht. Ihre Hauptaufgabe war der Schutz der eigenen schweren Infantrie und eine erste Zerrüttung der feindlichen Linien. Eine größere Bedeutung bekamen sie allerdings erst durch die Parther, die sie meisterhaft einzusetzten verstanden. Ansonsten gab es nur wenige Völker, die den Bogen beherrschten und alle Bogenschützeneinheiten bis in die Spätantike stammen von ihnen. Es kab keine römischen Bogenschützen! Aber die Römer stellten kretische Bogenschützeneinheiten auf.

Berittene Bogenschützen: Hallo!!! Seit wann gab es in der römischen Republik/Diadochenreiche Berittene Bogenschützen!!! Die kamen erst mit den Parthern und wurden von der römischen Armee erst in der Kaiserzeit eingesetzt. Auch die Diadochenreiche (Seleukiden, Ägypten, Makedonien) hatten keine.

Fazit: Dies sollen nur ein Paar Anmerkungen sein. Worauf ich hinaus will:
a) Wesentlich stärkere Truppengattungsspezifische Boni/Mali
b) Nationale Unterschiede der Truppen (z.B. Römer Legio, Griechen Phalanx)
c) Nationale Unterschiede der Qualität (besonders Kavallerie)
d) Begrenzte Aufstellungsgebiete für Bogenschützen und Kavallerie
e) Keine berittenen Bogenschützen

2. Die Schlacht
Wer einzelne Schlachten schlagen will soll "Rome: Total War" spielen, das in dem Bereich ganz hervorragend ist. Aber hier hätte ich trotzdem ein paar Anmerkungen:
a) In dem Fenster "Schlacht" hätte ich gerne ein wenig Bewegung. Die Truppen stehen sich da etwas unmotiviert gegenüber und dreschen aufeinander ein. Es gibt keinen Durchbruch und meine Kavallerie steht trotz deutlicher Überlegenheit herum und schaut zu, obwohl sie den Gegner umfassen und zermalmen könnte.
b) Ein wenig Zufall finde ich gut, aber die Schlachten sind zu extrem vom Glück abhängig. Mit einem 9er General, besseren und mehr Truppen müsste ich jede Schlacht gewinnen, das ist bei EU: Rome bei weitem nicht so.
c) Unterlegene Truppen ziehen sich immer mit wenigen Verlusten zurück. Das ist zwar nicht ausgeschlossen, aber von vielen Faktoren abhängig. Der wichtigste heißt: Kavallerie. Habe ich deitlich mehr, als der Gegner, kann ich ihn normalerweise zur Schlacht zwingen. Dann würde es auch vernünftige Entscheidungsschlachten geben und nicht ein endloses Geplänkel und Verfolgungen rund ums Mittelmeer.

3. Versorgung
Jedes Feld hat einen Versorgungswert, das ist so weit ok. Allerdings die dramatische Steigerung durch den Heerführer ist sehr unrealistisch. Das führt nämlich dazu, das ich ohne Probleme mit einem 9er General und 10 Einheiten in Barbarengebieten operieren kann. Meine Seleukidenarmeen haben nicht selten die Ostsee erreicht, um Sklaven zu jagen.
Auf der anderen Seite bekommen sehr große Armeen gigantische Verluste durch Versorgungsmangel. Bei der Schlacht von Ipsos standen sich ca. 160000 Mann gegenüber, das währen 80 Einheiten auf jeder Seite. Bei EU: Rome währen die meisten schon vorher verhungert.
Mein Vorschlag: Einführung der Einheit "Troß". Sie sollte nicht ganz preiswert und sehr langsam sein, aber eine Armee ohne Verluste voranbringen. Dann gäbe es auch wieder Entscheidungsschlachten. Dafür den Offiziersbonus auf Versorgung reduzieren.

4. Truppenbewegung
Einer der größten Irrtümer ist, dass Kavallerie schneller marschiert, als Infantrie. Sie ist nur auf dem Schlachtfeld deutlich schneller. Die Marschgeschwindigkeit hängt allein von der Disziplin und dem Ausbildungsstand ab.

Fortsetzung folgt.

Enrico Frattini
27.02.09, 13:07
Fortsetzung:

5. Belagerung
Nur die Römer und die Diadochenreiche hatten die Technik gut befestigte Städte zu erobern. Demetrios Poliorketes (Der Städteeroberer) hatte seinen Namen nicht umsonst. Alle anderen konnten nur unverrichteter Dinge wieder abziehen. Hannibal verlor den Krieg gegen die Römer, da er ihre Städte nicht erobern konnte. Selbst Alexander brauchte über ein Jahr mit seiner gesamten Armee um Tyros zu erobern. Andererseits ergaben sich die meisten kleinen Städte ohne Kampf.
Es ist sehr mühsam in EU: Rom jede Provinz Monate zu belagern und fast alle Provinzen sind, trotz der unterschiedlichen Verteidigungswerte von 1-4, gleich schwierig zu erobern. Das gibt dem Spiel etwas von einem "Frontkrieg" wie in HoI.
Besser wären deutliche Unterschiede in der Verteidigungsfähigkeit der Städte.

II. Forschung
Die Forschung in EU: Rom bedarf einer deutlichen Verbesserung. Viele Dinge müssen erst erforscht werden, über die die meisten Staaten eigentlich schon verfügten, so z. B. die militärische Entwicklung, bei der sich nicht mehr viel änderte (ausgenommen die "Marianische Heeresreform"). Auch die Bauwerke waren den Mittelmeerstaaten bereits bekannt. Alle konnten Straßen bauen (nicht nur die Römer).
Gut haben mir die Bürgertums- und Religionstechnologien gefallen. Bei der Bautechnologie könnte man z. B. die Effektivität steigern.

III. Gebäude, Infrastruktur und Zivilisationswert
Erst Erforschung und dann Bau von Gebäuden erinnert mich an "Civilisation" und wirkt bei EU: Rom ein wenig hilflos.
Vor allem hat man entweder tolle Straßen oder gar keine. Besser wäre ein Infrastrukturwert, wie bei HoI, mit abnehmenden Werten zu den unzivilisierten Gegenden. Dann könnte man auch den Barbaren einen Wert von 0 geben und würde die Bewegung und Versorgung von Armeen in diesen Gebieten realistischer gestalten.
Die Gebäude kann man auch weg lassen und ihre Boni im Zivilisationswert verstecken. Je höher der Wert, desto mehr Boni auf Forschung (ist ja schon), Handel und Verminderung des Revoltenrisikos. Statt dessen sollte es die Möglichkeit geben, den Zivilisationswert durch Geld zu erhöhen.

IV. Kollonisierung
Das System funktioniert nicht gut. Bei meinem letzten Spiel mit einem sehr agressiven Seleukidenreich habe ich die Ostseeküste kolonisiert. Besser wäre, wie schon erwähnt, die Schwierigkeiten der Kollonisierung zu erhöhen: Ständige, jahrelange Aufstände, hohe Kosten, erschwerte Bewegung und Versorgung von Truppen etc.

V. Handel
Ein wenig aufwendig, vor allem, wenn man über viele Provinzen verfügt. Als Herrscher habe ich auch keine Direkte Einflußmöglichkeit auf den Handel. Mir würde ein automatisierter Handel, wie bei "Rome: Total War" besser gefallen. Dieser sollte Abhängig von Kriegs- und Friedenszeiten sein und vielleicht durch Gesetze, die ich als Herrscher erlassen kann, zu beeinflussen sein (hohe/niedrige Zölle, Freihandelszonen etc.).
Und bitte: Keine Elephanteneinheiten, die ich in Nordgermanien aufstellen kann.

VI. Provinzverwaltung und Korruption
Warum bringt mir ein Korrupter Provinzstatthalter mehr Geld in die Staatskasse? Ansonsten würde ich neben der Korruptheit eines Statthalters auch die Reichsgröße für die Korruption verantwortlich machen. Mehr Geld gibt vielleicht ein loyaler und fähiger Statthalter, während sich ein korrupter und unloyaler Statthalter vielleicht unabhängig macht.

VII. Charaktere
Finde ich sehr gelungen, ein Hauptspaßfaktor bei EU: Rom. Besonders Loyalität und loyale Einheiten. Schade finde ich nur, dass ich so wenige historische Figuren finde. Ich habe mal den Achäischen Bundesstaat gespielt (mein Magister-Prüfungsthema;)) und keinen Aratos von Sikyon, Philopoimen oder Lykortas - die schillernden Figuren schlechthin - gefunden. Sollte nicht so schwer sein und ist bei HoI ja auch janz toll gelungen.

VIII. Karte
Das Design reicht mir. Nur die Ausdehnung ist mir zu wenig. Da ich das Seleukidenreich spiele, hätte ich gerne eine Karte bis zum Indus mit dem Gräko-Baktrischen Reich...

IX. Kulturen und Religion
Finde ich auch sehr gelungen. Hier nur eine Anmerkung: Das Antiochia bei Persepolis ist natürlich eine griechische Kollonie und damit griechisch.

Mir fällt bestimmt auch noch mehr ein, aber das sollte erst mal genügen. Und wie gesagt, in den Grundzügen gefällt mir das Spiel ganz gut.:gluck:

Jorrig
27.02.09, 14:08
Vielen Dank für die ausführliche Kritik. Ich hatte auch schon mit dem Gedanken gespielt, mir den Titel zuzulegen, konnte aber auf keine fundierte Kritik zurückgreifen, um mir die Entscheidung leichter zu machen.
Historische Inkorrektheiten sind natürlich nicht spielspassfördernd, gerade was das Aufstellen von Einheiten angeht. Das ist wirklich schade, denn in EU3 gibt es solch ein System schon. Dort gibt es länderspezifische Einheiten, die nur dort aufgestellt werden können (auch wenn die Werte dann wieder gleich sind).
Die 160.000 Soldaten sind aber sicher übertrieben, das wurde hier im Forum auch schon oft diskutiert. Die Zahlen könnte man um den Faktor 10-20 verkleinern, wenn ich mich recht erinnere. Antike Geschichtsschreiber hielten es mit der Wahrheit nicht so genau, es ging mehr darum, die eigenen Taten zu erzählen, und dabei wurde nun mal übertrieben.
Habt Ihr eigentlich mit Vae Victis gespielt oder ohne die Erweiterung? Mich würde interessieren, ob sich damit einiges verbessert hat.

Bismarck
27.02.09, 15:23
Mit Vae Victis hat sich definitiv zum Hauptspiel noch etwas getan! Aber trotzdem wird es schon auf kurze Frist langweilig.

Enrico Frattini
27.02.09, 17:17
Vae Victis habe ich leider nicht gespielt, steht aber auf meiner Liste (Ist ein add-on zu EU: Rom, oder?)

Zu den Zahlen von Ipsos: Auch wenn du recht hast, dass die Quellen häufig maßlos übertreiben - Alexander soll bei Gaugamela 500.000 Mann gegenüber gestanden haben, was natürlich unfug ist - , bei der Schlacht von Ipsos sind sie halbwegs verläßlich (Diodor und Plutarch) und auch glaubwürdig - immerhin haben dort alle Diadochen teilgenommen (Ptolemaios, Lysimachos, Kassandros und Seleukos gegen Antigonos Monophtalmos und Demetrios Poliorketes) und deren Recourcen waren gewaltig. Ipsos war eine der größten, wenn nicht sogar die größte Schlacht der Antike.

Ansonsten besticht EU: Rom vor allem dadurch, dass man auch kleinere Staaten spielen kann. Das einzige mir bekannte Spiel, bei dem ich den Achäischen Bundesstaat spielen kann. Auch die "Allgemeine Politikausrichtung" mit den vielen kleinen Möglichkeiten plus den Bürgertumstechnologien mit abgeschottetem oder offenem Adel sind ganz nett. Auch gibt es viele kleine Überraschungen und zahlreiche Events und es dauert eine Weile, bis man verstanden hat, wann welche Events triggern. Trotz meiner Kritik, irgendwie mag ich das Spiel.

Bismarck
01.03.09, 20:24
Zum Thema Sinn und Unsinn empfehle ich den Delbrück. Wirklich schön rekonstruiert.
Prinzipiell ist das Spiel gut, krank aber meines Erachtens nach an Langzeitmotivation.

Enrico Frattini
02.03.09, 16:07
Als Althistoriker und Archäologe kenne ich den Delbrück natürlich, der ist aber schon ein wenig veraltet.
Zur Langzeitmotivation kann ich dir nur recht geben. Man muß schon einen ausgesprochenen Faible für die Diadochenzeit/Römische Republik haben, um das Spiel auf Dauer interessant zu finden. Aber außer Rome: Total War, was auf seiner taktischen Ebene sehr gut ist, fällt mir kein anderes gutes Spiel zu dieser Zeit ein. Und Rome: Total War habe ich lange genug gespielt. Außerdem kenne ich kein gutes Spiel, bei dem man den Achäischen Bundesstaat oder Sparta spielen könnte...;)