"Here is Germany"

[arcain]

Hohe (und niedere) Herren,

vor einigen Tagen habe ich mir einen US-Propagandafilm von 1945 heruntergeladen. Er sollte dazu benutzt werden, die amerikanischen Soldaten auf Deutschland und auf die deutsche Bevölkerung in der Besatzungszeit vorzubereiten. Inhaltlicher Angelpunkt des Films ist die Frage, welcher aggressive Keim im deutschen Charakter wurzelt, der den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust ermöglichen konnte. Gekonnt inszeniert der Streifen einen 200jährigen Geschichtsrückblick vom sogenannten preußischen Militarismus hin zum Dritten Reich der Nationalsozialisten. Es ist einer der besten Propagandafilme, die ich je gesehen habe. Interessant ist vor allem, wie der Deutsche der unmittelbaren Nachkriegszeit dem Zuschauer präsentiert wird; nämlich gar nicht so sehr als Feind sui generis, sondern vielmehr als Opfer der eigenen verfehlten Geschichte.
Wer den Film noch nicht kennt, sollte ihn sich unbedingt anschauen. Im Torrent-Netzwerk ist er gut verteilt und innerhalb kurzer Zeit heruntergeladen.

Weitere Informationen gibt es hier:
http://en.wikipedia.org/wiki/Here_Is_Germany

[Al. I. Cuza]

Das werde ich wohl gleich machen, danke.

[sheep-dodger]

Wie steht es eigentlich mit den Rechten an solchen Propagandafilmen oder auch Propagandaplakaten (bzw Bildern davon), darf man die legal verbreiten oder hat darauf noch jemand Urheberrechte oder Ähnliches?

[arcain]

Das hängt vom Material ab. Manches ist urheberrechtlich geschützt, einiges bleibt aus gewissen Gründen in Archiven weggesperrt und nur in Ausnahmefällen und mit Ausnahmegenehmigungen einsehbar, das allermeiste aber ist frei verfügbar und unterliegt keinen juristischen Reglementierungen. Bei NS-Propaganda flukturiert zwar vieles im Netz, man sollte sich aber vorher über das jeweilige Material informieren. Soweit ich weiß, darf NS-Propaganda nur im Zusammenhang mit aufklärerischer Funktion eingesetzt und verbreitet werden. Da das Internet aber nunmal keine Grenzen kennt, ist das selten der Fall. Es ist Vorsicht geboten.
Bei "Here is Germany" dürft Ihr aber wohl bedenkenlos herunterladen ;)

Habe für den Film nochmals nachgeschaut. Lizenz ist angegeben als "Public Domain":
"Dedicator recognizes that, once placed in the public domain, the Work may be freely reproduced, distributed, transmitted, used, modified, built upon, or otherwise exploited by anyone for any purpose, commercial or non-commercial, and in any way, including by methods that have not yet been invented or conceived."

[Elvis]

Gibts auch auf youtube

http://www.youtube.com/watch?v=BzB0x51QCog

Hab erst zwei der sieben Teile gesehen. Aber ich finde die Propaganda gar nicht so schlecht.
Natürlich etwas einseitig und zielgerichtet, aber platt ist sie nicht.

Den Erklärungsansatz nicht darauf zu beziehen, das Deutsche schlecht sind, sondern aus der Tradition abzuleiten, ist ja auch gar nicht so verkehrt denke ich.

[Graf Radetzky]

Hab erst zwei der sieben Teile gesehen. Aber ich finde die Propaganda gar nicht so schlecht.

Na dazu ist Propaganda da.



Natürlich etwas einseitig und zielgerichtet, aber platt ist sie nicht.



Stimmt. Allzu plumpe Propaganda funktioniert auch nicht.

[Ruprecht I.]

Stimmt. Allzu plumpe Propaganda funktioniert auch nicht.
Selbstverständlich funktioniert die.
Die Masse des Volkes (welches Volk auch immer) besteht aus Leuten, für die es schon eine Heldentat ist, sich die Hose richtigherum anzuziehen. Je plumper, desto besser, um möglichst viele anzusprechen.

[Graf Radetzky]

Selbstverständlich funktioniert die.
Die Masse des Volkes (welches Volk auch immer) besteht aus Leuten, für die es schon eine Heldentat ist, sich die Hose richtigherum anzuziehen. Je plumper, desto besser, um möglichst viele anzusprechen.

Etwas Rafinesse braucht es schon für Propaganda. Sonst müsste man nicht so viel Mühe auf Dramaturgie und Inszenierung verwenden.
Dass Aliierte Propaganda zumeist geschickter wirkt, liegt eher daran dass es seitens dieser keine gleichgeschaltete Medienlandschaft gab.

[Ruprecht I.]

Jein. Haben wir heute auch nicht (mal sehen, wann die üblichen Verdächtigen wieder mit ihrer 'linken Staatspresse' auftauchen...), aber trotzdem hat das Neonazigesocks mit unterirdisch dämlichen Parolen leider starken Zulauf.
Es kommt eben immer drauf an, wen man erreichen will. Und wie gesagt: die große Masse kriegt man auf unterstem Niveau immer noch am Besten.

[Stoertebeker]

Wir haben uns das komplette Ding gegeben: Wirklich sehr schön.

Propagandistisch so gut ist es, weil es auf zweierlei Grundregeln wirkungsvoller PR zurückgreift: Die Wiederholung und das Abzielen auf Emotionen. Außerdem ist der Film sehr einfach gestrickt:
- die Deutschen einerseits,
- die Deutschen andererseits,
- deutscher Militarismus als Erklärung

Vollkommen daneben ist das auch inhaltlich sicherlich nicht; erst kürzlich lasen wir, dass ein rennomierter Historiker eben diese militaristische Kontinuität zwischen Preußen, Kaiserreich und Nazideutschland herrausstellte.
Andererseits greift so ein unikausales Modell natürlich auch etwas kurz. Dass zudem argumentiert wird, der Versailler Vertrag sei nicht konsequent genug durchgesetzt worden: Naja. Egal.

Wirklich bedenklich fanden wir, dass die immer wieder dargestellte, bejubelte Rückkehr der Deutschen Soldaten, als Beleg für die Kriegsgeilheit der Deutschen, bei den Amis genau so aussah, nur ohne anklagende Musik im Hintergrund. Man könnte dieses Material also verwenden, um irgendwann mal den Besatzungstruppen in den USA zu erklären, wie die Amis zu solchen Schweinereien fähig waren.

[arcain]

Vollkommen daneben ist das auch inhaltlich sicherlich nicht; erst kürzlich lasen wir, dass ein rennomierter Historiker eben diese militaristische Kontinuität zwischen Preußen, Kaiserreich und Nazideutschland herrausstellte.

Inzwischen ist diese Teleologie allerdings aus der Wissenschaft weitgehend verschwunden; ihren Höhepunkt hatte sie in den 60er und 70er, war dann unter dem Stichwort Fischer-Schule und durch Wehlers Sonderwegstheorie bekannt. Das zielte dann darauf ab, Demokratie- und Modernisierungsdefizite im Kaiserreich zu betonen, die dann in der WR sich fortgesetzt hätten und schließlich im Dritten Reich kulminiert wären. Inzwischen hat man aber anerkannt, dass man bei diesem Schema das westliche Modell zum Vorbild nahm, zum Ideal erklärte und missachtete, dass es durchaus auch andere Wege in die Moderne geben kann. Es ist aber ganz interessant, dass der Propagandafilm wesentliche Argumente der 60er und 70er Jahre-Wissenschaften schon vorwegnimmt.


Dass zudem argumentiert wird, der Versailler Vertrag sei nicht konsequent genug durchgesetzt worden..

Das ist sicher auch auf dem Kontext der US-Debatten zu diesem Zeitpunkt zu sehen. Vermutlich gehört der Film in jene politische Denkrichtung, die damals für eine Deindustrialisierung Deutschlands plädierte. Das ist ja durch das Anbahnen des Kalten Krieg dann sehr schnell revidiert worden.


Wirklich bedenklich fanden wir, dass die immer wieder dargestellte, bejubelte Rückkehr der Deutschen Soldaten, als Beleg für die Kriegsgeilheit der Deutschen, bei den Amis genau so aussah, nur ohne anklagende Musik im Hintergrund.

Na, so funktioniert das halt bei einem Propaganda-Film! ;) Dass Engländer und Franzosen ebenso frenetisch in den Weltkrieg marschiert sind, hätte ja auch nicht gut in die Argumentation gepasst :D

[Stoertebeker]

Das ist sicher auch auf dem Kontext der US-Debatten zu diesem Zeitpunkt zu sehen. Vermutlich gehört der Film in jene politische Denkrichtung, die damals für eine Deindustrialisierung Deutschlands plädierte. Das ist ja durch das Anbahnen des Kalten Krieg dann sehr schnell revidiert worden.

Ja., wahrscheinlich. Übrigens wird im Film auch davon gesprochen, dass man dieses Mal, im Gegensatz zum Versailler Vertrag, wirklich durchgreifen wolle in Politik, Wirtschaft und Militär und dort alle Nazis entfernen .... :rolleyes:


Na, so funktioniert das halt bei einem Propaganda-Film! ;) Dass Engländer und Franzosen ebenso frenetisch in den Weltkrieg marschiert sind, hätte ja auch nicht gut in die Argumentation gepasst :D

Aber dann die eigenen Truppen unter Jubel zurückkehren zu zeigen, während man beinahe die gleiche Einstellung wenige Minuten zuvor noch zur Demonstration des frenetischen Kriegswillens der Deutschen herangezogen hatte: Wir halten das für eine Schwäche des Films, auch für entlarvend.