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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Die Himmelsscheibe von Nebra



von Holstein
26.09.02, 14:08
Der Fund dieses schoenen Stueckes ist ja schon etwas ganz Besonderes. Was mich aber sehr erstaunt hat ist das Alter der Himmelsscheibe - 3600 Jahre !!!!
Ich dachte immer zu dieser Zeit hausten unsere Vorfahren in Pfahl- und Lehmbauten und beteten Tiergoetter an.
Ich entsinne mich da an einen unsaeglichen Artikel im Spiegel, in dem die Germanen im Vergleich zu den Roemern als dumme und unfaehige Barbaren dargestellt wurden :sauer: .

Die Erschaffer der Scheibe scheinen aber so ziemlich das Gegenteil davon gewesen zu sein...
und daher auch meine Frage - weiss einer der werten Regenten etwas ueber das Leben hier vor 3600 Jahren ? Ist das in Einklang zu bringen mit so einer wissenschaftlichen Leistung ??

Gruss
von Holstein

Carl the Great
27.09.02, 02:30
Werde euch möglichst bald was dazu schreiben. :)

Carl the Great
02.10.02, 01:26
Möglichst bald und doch recht spät, verzeiht. :rolleyes:

Nun zuerst einmal muss gesagt werden, dass vor 3600 Jahren die Germanen noch ein relativ kleiner Volksstamm in Skandinavien gewesen sind und erst vor ca. 2800 Jahren nach Zentraleuropa einwanderten. Zur Zeit der Himmelsscheibe von Nebra siedelte dort die sogenannte Hügelgräber-Kultur, die sich wie der Name schon sagt durch Hügelgräber mit teilweise reichen Beigaben auszeichnet. Die Basis dieser Kultur war die Viehzucht.

Nun zur technischen Frage, zur Frage des Schmiedens dieses Stücks. Bronze wurde ab ca 2500 v. Chr. zuerst im Vorderen Orient bearbeitet und hergestellt. Die Technoligie breitete sich dann über drei Wege bis 1700 v. Chr. nach Europa aus: über Anatolien, über die Iberische Halbinsel und über die Karpaten.

Es ist jedoch gar nicht gesagt, dass die Scheibe vor Ort hergestellt wurde. Vielmehr ist wahrscheinlich und dies wird auch vermutet, dass die Scheibe aus dem Mittelmeerraum importiert wurde. Es bestand nämlich bereits sehr früh eine wirtschaftliche Verbindung zwischen Nordeuropa und dem Mittelmeerraum. Bernstein war zur damaligen Zeit sehr wertvoll und wurde über sehr weite Entfernungen gehandelt. Die Hügelgräber-Kultur war dabei ein wichtiger Zwischenstopp.

Nun zur geistigen Leistung einer solchen Scheibe. Mit Sicherheit ein überraschender Fund aber irgendwann müssen die Menschen ja damit angefangen haben, die Himmelszeichen abzubilden. Der Vorgang an sich ist für mich nichts besonderes, denn sie hatten den Himmel ja viel präsenter vor sich als wir heutzutage.

Die einzige Sensation an diesem Fund ist für mich also, dass es noch niemand früher gefunden hat und dass wir jetzt wissen, dass die Menschen den Himmel eben ein bisschen früher abgebildet haben.

von Holstein
02.10.02, 10:42
Habt Dank werter Carl fuer diese wertvollen Informationen.

Erlaubt mir ein Widerwort bezueglich des Herstellungsortes.
Die gekruemmten Goldbleche an den Raendern der Scheibe stellen einen "Horizontbogen" dar. Er markiert, wie sich der Punkt des Sonnenaufganges zwischen Sommer und Winter verschiebt. In Sachsen - Anhalt betraegt der Winkel zwischen diesen beiden Extrempuntken etwa 82 Grad. Exakt diese Kruemmung weist auch das Goldblech auf ! Dies scheint mir ein Hinweis darauf zu sein, dass die Scheibe aus der Gegend des Fundortes stammt.

Auf der Scheibe sind des weiteren die Plejaden zu erkennen, die fuer die Landwirtschaft (Einbringen der Ernte , Pfluegen) wichtig sind.
Ob die anderen "Sterne" willkuerlich angebracht sind, moechte ich hier einfach mal bezweifeln, ebenso dass der untere Halbkreis eine aus der aegyptischen Mythologie entlehnte "Sonnenbarke" darstellt.
Mal sehen was die Wissenschaftler noch an "Geheimnissen" aus der Scheibe herausholen.

Quelle: Spiegel

Carl, kann man die Leute der Huegelgraeber - Kultur eigentlich als unsere Vorfahren bezeichnen, oder sind sie von den Germanen und anderen voellig verdraengt worden ?

Gruss
von Holstein

von Holstein
02.10.02, 10:44
Und hier noch ein schoenes Bild aus dem oben erwaehnten Artikel:

http://www.spiegel.de/img/0,1020,213826,00.jpg

Carl the Great
02.10.02, 23:16
Wenn das so ist, dann handelt es sich wohl doch um einen beachtlichen Fund und ich habe mich zu wenig über die Scheibe an sich informiert.

Ob die Hügelgräber-Kultur unsere Vorfahren darstellt ist natürlich eine sehr schwere Frage. Hügelgräber-Kultur besagt ja lediglich, was diese Menschen an kultischen Riten pflegten und was für eine Kulutr sie eben hatten. Darauf folgte die Urnenfelder-Kultur. Damit ist jedoch keineswegs gesagt, dass die Menschen der Hügelgräber-Kultur vertrieben wurden. Sie nahmen vielmehr eine neue Bestattungsart an und so wurden sie über die neuen Bräuche definiert eben über das, was man von ihnen gefunden hat.

Später wanderten dann die Germanen von Norden und die Skythen von Osten ein. Beides Volksgruppen, die sich also nicht vordringlich über Bestattungsarten definieren. Nun war eine solche Einwanderung ja nicht immer ausschließlich mit Vertreibung der vorherigen Bewohner verbunden. Vielmehr wurden diese in das "Volk" aufgenommen. Die einzelnen "Völker" definierten sich noch im Wortsinn aufgrund ihrer "Gefolgschaft".

Es ist daher durchaus möglich (und meiner Ansicht nach wahrscheinlich), dass auch wir heute noch einen Tropfen der Hügelgräber-Kultur-Menschen in uns haben. ;)

von Holstein
07.10.02, 21:15
Neuigkeit zur Interpretation der Himmelsscheibe:

"Wesentlich ist, dass die Pleijaden in einer Konstellation zum Sichelmond stehen, die zwangsläufig 7 Tage später zu einer Mondfinsternis führt. Sollte dies von den vorgeschichtlichen Menschen beabsichtigt gewesen sein, so würde dies bedeuten, dass man über viele Generationen Mondfinsternisse betrachtet hat und Himmelsgesetze kannte, die wesentlich komplexer waren, als alles, was wir bislang vermuteten."

http://www.landesmuseum-fuer-vorgeschichte-halle.de/sterne/bilder/restaoro3previev.vs.jpg

Ich werde versuchen, diesen Thread mit den jeweils neuesten Erkenntnissen aufzufüllen.

Cassius Chaerea
07.10.02, 21:48
Wow, diese Entdeckung regt die Fantasie an. Dann war diese Kultur wohl auf einem ähnlich hohen Stand was die Himmelsgesetze angeht wie die Ägypter, oder. Weiß nicht ob man die Vergleichen kann.

Bin schon gespannt was die Wissenschaftler darüber noch herausfinden. Das lässt die Ureinwohner dieser Lande für mich jedenfalls in ganz neuem Licht erscheinen. Vor einigen Jahren habe ich auch mal einige Hügelgräber besucht. Im Norden von München liegt da ein kleines Naturschutzgebiet, eine flache Heide, welche durch seltsame unnatürliche Erhebungen unterbrochen wird. Leider ist von diesen Gräbern nicht mehr übrig als diese Erhebungen. Aber wer weiß ob sich da unten nicht auch noch einige Schätze verbergen. Da das ganze geschütztes Gebiet ist (wegen der seltenen Heidevegetation) wird man es wohl nie erfahren.

Vielen Dank für die Information, werter Holstein.

Augustus Rex
07.10.02, 22:01
Auch wenn Wir einigen Stolz entwickeln könnten, wenn Unsere Vorfahren mit einem Schlag mit den Ägyptern gleichziehen könnten, befremdet Uns dennoch etwas, dass da die Plejaden perfekt dargestellt sein sollen, gar mit einem Bezug auf die Mondfinsternis, aber alle anderen Sterne als Zierwerk abgetan werden.
Hm.

von Holstein
07.10.02, 23:19
Cassius: Interessant, daß Euch gleich die Verbindung zum alten Ägypten in den Sinn kam. Der untere Halbbogen auf der Scheibe wurde von Professor Schlosser als "Sonnenbarke" interpretiert.
Zitat:
"Es handelt sich dabei wegen der Striche auf Ober- und Unterseite, die Ruder symbolisieren aufgrund von Vergleichsfunden, mit großer Wahrscheinlichkeit um ein (unbemanntes) Schiff, das zwischen den Horizonten über das nächtliche Himmelsmeer fährt. Wir fassen hier erstmalig den Beginn einer religiösen Vorstellung, die für die folgenden Jahrhunderte in der gesamten mitteleuropäischen Bronzezeit dominieren sollte. Es ist das erstmalige Auftreten eines religiösen Symbols, das bislang in seiner Bedeutung nicht verstanden wurde, das sich nun aber erklärt."
Zitat Ende
Die Sonnenbarke spielt schon in der altägyptischen Mythologie eine Rolle, den laut der Überlieferung bestieg Re (oder Ra) jeden Morgen seine Barke um seinen täglichen Flug über den Himmel zu beginnen. Und wie wir auf der Scheibe sehen bildet die Barke eine Verbindung von Horizontbogen zu Horizontbogen, also den Marken für Sonnenaufgang und Sonnenuntergang.

Augustus: Ich bin genau Eurer Meinung. Professor Schlosser argumentiert, daß die vorzeitlichen Künstler die Sterne als Zierrat anbrachten, eben um die Aufmerksamkeit ausschließlich auf die Plejaden hin zu richten. Ein interessantes Detail in diesem Zusammenhang ist, das 2 Sterne, die den nachträglich angebrachten Horizontbögen weichen musten, penibel um das eben notwendige Stück versetzt wurden und nicht willkürlich (oder ganz weggelassen) wie es vielleicht bei Zierrat geschehen wäre. Ich denke eine Computersimulation mit dem Sternenhimmel von damals und den darauf projektierten Sternen der Himmelscheibe könnte einiges ergeben. Zu sagen: "Ich erkenne kein System in der Anordnung - ergo gibt es keines!" ist mir ebenfalls zu einfach gedacht.

Gruß
von Holstein

http://www.landesmuseum-fuer-vorgeschichte-halle.de/sterne/bilder/4fasengfgnsvdgvznk.vs.jpg

von Holstein
07.10.02, 23:36
Wenn die "Sterne" auf der Himmelsscheibe wirklich keine Gestirne aufzeigen, wie wäre es dann wenn man sich den Mittelpunkt der Scheibe als den Fundort Nebra denkt, und die Markierungen horizontal Kultstätten, und/oder geographisch besondere Punkte der näheren (regional) oder weiteren (europäischen) Umgebung ausmachen würden ?
Werde mir morgen mal einige Karten raussuchen.....

Carl the Great
08.10.02, 01:04
Originally posted by Cassius Chaerea
Im Norden von München liegt da ein kleines Naturschutzgebiet, eine flache Heide, welche durch seltsame unnatürliche Erhebungen unterbrochen wird. Leider ist von diesen Gräbern nicht mehr übrig als diese Erhebungen. Aber wer weiß ob sich da unten nicht auch noch einige Schätze verbergen. Da das ganze geschütztes Gebiet ist (wegen der seltenen Heidevegetation) wird man es wohl nie erfahren.

Unter (uns) Archäologen gilt der Grundsatz, möglichst viel in der Erde zu belassen und nur das was in Gefahr schwebt zu bergen. Dies liegt einerseits daran, dass eventuelle Fundstücke in der Erde grundsätzlich besser geschützt sind als wenn man sie herausholt. Was schon ein paar Tausend Jahre in der Erde überstanden hat, übersteht auch noch länger. Zum anderen liegt es jedoch auch an den mangelnden Geldern und Personal, so dass nur das nötigste gegraben wird. Jedoch ist damit nicht gesagt, dass man diese Dinge niemals ergründen wird. Im Gegenteil sind bereits heute Prospektionsmethoden in der Entwicklung, mit deren Hilfe es eines Tages möglich sein wird, "in die Erde zu gucken" und die Dinge, die sich darin befinden, detailliert zu analysieren.