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Dr. w.c. Gerland
08.11.02, 12:29
Quelle: (Buch: Das Gold der Zaren)

Der Reisende aus dem Westen

Etwas mehr als dreihundert Jahre, bevor der russische Dichter Fjodor Tjutschew diese Zeilen schrieb (1866), war in Wien ein bemerke4nswertes Buch erschienen: "Reise zu den Mokowitern" des Sigismund von Herberstein. Schon bald folgten neue, ergänzte Auflagen. Das Buch wurde ein Bestseller, denn es war die erste ausfürhliche und halbwegs glaubhafte Beschreibung eines Landes, über das man im Westen des 16. Jahrhunderts nur sehr eingeschränkte und vor allem fantastische Vorstellungen hatte. Der österreichische Gesandte, der im Auftrag Kaiser Maimilians I. 1516 erstmals an den Moskauer Hof reiste, schreibt in seinem Vorwort:"Die russischen Verhältnisse... sind und, da das Reich weit weg von uns liegt, nicht so gut bekannt; darum fand ich es für richtig und notwendig, meine Erkenntnisse und Erlebnisse aufzuzeichnen. Nur aus diesem Grunde habe ich das vorliegende Werk begonnen. Zwei Dinge waren mir dabei sehr behilflich: erstens der Fleiß und die Ausdauer, mit denen ich mich meinen Forschungen widmete, und zweitens die Kenntnis der slawischen Sprache. Letzteres war ein entscheidener Vorteil.

Herberstein stammte aus der Steiermark und bereits in seiner Kindheit hatte er slawonisch gelernt, das heisst slowenisch. Seine diplomatische Karriere-man würde sie heute als steil bezeichnen- führte ihn an viele namenhafte europäische Residenzen. Bei seiner zweiten Reise nach Russland (1526/1527) empfing man ihn dort mit den gleichen Ehren wie zehn Jahre zuvor. Herberstein wurde achtzig Jahre alt; mit ihm starb 1566 ein Kosmopolit, der vor allem eines bessessen hate: Verständnis und Achtung für fremde Völker.
Als Herberstein Moskau und das Moskowiterreich besuchte, herrschte dort Wassili III, der Vater jenes Iwan, aus dem einmal der Schreckliche werden sollte. Der Reisende aus dem Westen erblickte ein Moskau, das im Begriff war, bald zur Hauptstadt des russichen Reiches aufzusteigen. Bis auf einige steinernde Gebäude, vor allem Kirchen und Klöster, bestehen alle Häuser der Stadt aus Holz. Einem Gerücht nach muss Moskau sehr viele Häuser haben. Der Fürst soll etwa sechs Jahre vor meiner Ankunft eine Zählung durchgeführt haben und dabei soll man mehr als 41500 Gebäude gefunden haben.
Weiter heißt es in Herbersteins Buch: In der Stadtmitte liegt das große, aus guten Backsteinen errichtete Schloss. Auf der einen Seite schütze es die Moskwa, auf der anderen die Neglima. Dieser Fluss entspringt aus einem Sumpf und wird vor der Stadt aufgestaut. Mittels eines kleinen Abflusses füllt sie den Schlossgraben; auch an diesem liegen einige Mühlen. Das Areal des Schlosses ist so grß, dass neben den zahlreichen kostbaren steinernden Häusern des Fürsten auch noch für die Metropoliten, für die Brüder des Herrschers und andere vornehme Mönner weitläufige Holzhäuser Platz fanden. Dazu kommen noch mehrere Kirchen. Das Ganze gleicht einer eigenen Stadt.
Herberstein war bekannt, dass Moskau kurz zuvor einen rasanten Aufschwung erlebt hatte. Das Schloss, das er beschrieb, der Moskauer Kreml,wurde während seiens Aufenthalts gerade derart umgestaltet, dass es auch nach außen zu einem sichtbaren zeichen der Macht, ja zu ihrem Zentrum schlechthin emporwuchs.
Bis heue ist der Kreml gleichzusetzen mit dem LAnd, das von hier aus regiert wird. Er ist Symbol für das russische Reich, für seine Zaren und seine Schätze. Auch als Peter der Große 1703 St. Petersburg zur Hauptstadt erkor und Moskau in den Dornröschenschlaf versank, blieb der Kreml das Herz Russlands und die Stätte, an der die russichen Zaren glanzvoll gekrönt wurden. Die goldenen Kuppeln, die auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch funkeln und gleißen, verraten schon von weitem, dass hier etwas Besonderes, etwas Einmaliges entstanden ist. Was mag es erst hinter den Mauern zu bewundern geben?In den verschiedenen Palästen, den Kirchen, der Rüstkammer? Russlands und der Zaren Schätze sind hier versammelt, so weit sie nach dem stürmsichen 20.Jahrhundert erhalten geblieben sind. Ihre Spuren führen uns weit in die Vergangenheit zurück.
An den Ufern der Moskwa und am Kreuzungspunkt verschiedener Handelswege entstand um die Mitte des 12, Jahrhunderts eine einfache Holzfestung Juri Dolgoruki, der Fürst von Wladimir-Susdal, ließ sie 1147 errichten. Dieses Satum wird als Gründungsdatum Moskaus angesehen. Um die Burg herum entwickelte sich bald eine Siedlung, in der vor allem Handwerker und Händler lebten. Doch bis zu Moskaus Austieg zum "Mütterchen" Russlands war es noch ein weiter Weg.
Mit dem Einfall Dschingis Kahns und seiner Reiter in die südrussische Steppe (1223) begann der endgültige Untergang des alten Kiewer Reichs, das einst von den Warägern, den Nordmännern kulturell sehr hoch stehenden Staatsgebildes deutete sich schon lange an.
Ständige Aufteilungen des Reichs- Erbe verschiedener Fürstentsöhne-hatten Streitereien und Erbfolgekriege zur Folge. Dabei konnten sich einige kleinere Fürstentümer, wie Wladimir-Susdal und Rostow-Weliki in den nördlichem russischen Wäldern, zu ernsthaften Konkurrenten Kiews entwickeln. Als sich auch das durch seine westliche Lage begünstigte Nowgorod, die alte reiche Handelsstadt, von Kiew losssagte, war ein weiterer wichtiger Verbündeter verloren. Seit dem Mongoleneinfall war es nur noch eine Frage von wenigen Jahren, wann das einst so starke Kiewer Reich fallen würde. Der Enkel Dschingis Kahns, Batu Khan, versetzte dem alten Staatengebilde 1240 den Todesstoß. Damit begann für die ganzen damals bekannten russischen Lande eine 250-jährige Fremdherrschaft.
Als neues Machtzentrum der Mongolen, damals auch " Tataren" genannt, entstand Sarai am unteren Lauf der Wolga. Von hier aus beherrschte die "Goldene Horde" die kleineren und größeren russischen Fürstentümer, deren Herrscher zu Tributzahlungen an den Kahn verpflichtet wurden. Nur Pskow ( Pleskau) und Nowgorod konnten sich diesem Joch entziehen. Ihre besondere Lage an der westlichen Grenze des Reichs, ihre hervorragenden Handelsverbindungen ins übrige Europa und die Nähe zum Herrschaftsgebiet des Deutschen Ordens hatte den beiden Städten Macht verschafft. Der Nowgoroder Fürst Alexander Newski hatte es zudem geschickt verstanden, sich dem Tatarenkahn als treuer Vasall anzudienen. Mehrmals reiste er nach Sarai und erwirkte für seine Stadt Unabhängigkeit und Schonung vor den Tatrenstürmen. Natürlich kam er nie mit leeren Händen.